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Lao Gai Lin 259
de, bzw. die Hoffnung auf eine zumindest teilweise Restitution hielten ihn selbst dann
noch in China fest, als die meisten anderen Ausländer längst das Land verlassen hatten.
In keiner der erhaltenen schriftlichen Äußerungen gewährte Rolf einen tieferen Ein-
blick in seine Emotionen – er war eben immer »verschlossen«, wie seine Frau Hermine
es ausdrückte. Erst in einem Brief an Greta am 20. Mai 1946 öffnet sich dieser immer so
starke, optimistische, in der Arbeit selbstausbeuterische und souveräne Mann ein we-
nig und gewährt Einblick in seine persönliche Verfassung. Rolf – er ist nun 62 Jahre alt –
denkt mit Wärme an seine Verwandten und Bekannten in Europa und meint: »So gerne
würde ich Allen selbst schreiben und in schönen Erinnerungen dabei schwelgen, aber
ich bin wieder fürchterlich beschäftigt und dazu – will auch mein Herz nicht so ganz wie
ich. Unser alter Dr. Brüll meint auch bei mir: ausspannen und Ruhe, aber das geht heu-
te weniger denn je. Auch ist es nicht die Arbeit, sondern die psychische Überbelastung
der letzten Jahre die sich bemerkbar macht, und dagegen hilft auch Ruhe nicht viel. Be-
ruflich habe ich praktisch nichts mehr zu tun, und ich mache auch keine Anstrengungen
da nochmals in Schwung zu kommen. Aber von der chin. Regierung bin ich im Dezem-
ber wieder als »Ex-Konsul« mit der Wahrnehmung der österreichischen Interessen be-
traut worden, und das gab und gibt fürchterlich viel zu tun. (Abb. 118) Von allen Städten
Nordchinas und auch schon von der Mandschurei kommen die Hilferufe der Österrei-
cher. Dabei stecken wir in einer Inflation die schon bald die Ausmasse derjenigen er-
reicht, die Ihr nach dem Ersten Weltkrieg mitmachtet. Mein Einkommen stammt jetzt nur
von Mieten und Verwaltungsgebühren, und die sind so lächerlich nieder, dass oft kaum
die Unkosten gedeckt sind. So verkaufte ich erst mein Auto, Gasolinvorrat und so wei-
ter, und nun das Baumaterialienlager.«
118 Rolf in der Zeit seiner
Tätigkeit als Konsul
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273