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Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente |
59Die
Verbreitung neuer Stilvarianten
Darüber hinaus war durch Architekten und Baumeister die Weitergabe neuester
Entwicklungen im Möbelbau sichergestellt. Spätestens seit dem fortgeschrittenen
17.
Jahrhundert sahen sie es zunehmend als ihre Aufgabe an, Innenräume zu gestalten.
Es genügte ihnen nicht mehr, die gemauerte Hülle zu entwerfen, sondern sie form-
ten nun auch die verschiedenen Ausstattungsbestandteile nach ihren Vorstellungen107,
selbstverständlich unter Berücksichtigung der Anweisungen durch die Auftraggeber.
So plante der Bildhauer und Architekt Joseph Matthias Götz (1696–1760) 1735 das
Chorgestühl der Kremser Pfarrkirche (Abb.
190, 191) und kein Geringerer als Johann
Lukas von Hildebrandt (1668–1745) in den frühen 1720er-Jahren die Ausstattung
der Priesterseminarkirche in Linz (Farbtaf. 27 ; Abb. 341–343).108 Hildebrandt muss
beim Bau dieser Kirche die Rolle eines »Kunstintendanten« zugefallen sein, dem die
Handwerksmeister der verschiedenen Gewerke unterstanden.109 Gleichwohl han-
delte er in direkter Absprache mit dem Salzburger Erzbischof Franz Anton Fürst
von Harrach (1665–1727), der die Errichtung des Kirchenbaus veranlasst hatte und
sich bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort vorbehielt. Er allein befand
darüber, ob ein eingereichter Entwurf oder ein vorgelegtes Modell Akzeptanz oder
Zurückweisung erfuhr. Die Rolle des kunstverständigen Dilettanten, die Fürsterzbi-
schof Harrach einnahm, war aber keineswegs eine außergewöhnliche. Vielmehr grif-
fen Kleriker auch andernorts in Entscheidungsprozesse ein und bestimmten so die
Planungen von Bauten und Einrichtungen wesentlich mit. Hieronymus Übelbacher
(reg. 1710–1740) etwa, Propst des ehemaligen Chorherrenstiftes Dürnstein, ließ sein
Kloster zwischen 1715 und 1733 nach einem Gesamtkonzept modernisieren, das er
wahrscheinlich selbst entwickelt hatte und noch während der Renovierungsarbeiten
mehrfach modifizierte. Er besuchte wiederholt andere Klöster und Weltkirchen, um
sich nach möglichen Vorbildern für die Ausstattung seiner Klosteranlage zu erkundi-
gen. Dabei notierte er sich sogar die Namen von Künstlern und Handwerksmeistern,
deren Arbeiten ihm zusagten.110 Oftmals entschieden sich die dilettierenden Kleriker
keineswegs für konservative Lösungen, im Gegenteil : Etliche Barockäbte galten als
kenntnisreiche Kunstsammler und Mäzene, die die Entwicklungen auf dem Gebiet
107 Bisweilen kam das auch schon früher vor. So entwarf der Architekt Giacomo Barozzi da Vignola
(1507–1573) in den 1560er-Jahren einen Marmortisch für Kardinal Alessandro Farnese (1520–1598).
Das Möbel gehört zu den Exponaten des Metropolitan Museum of Art in New York. Giusti, Pietra
Dura (2005), 26, Abb. 19.
108 Zu den Kirchen in Krems und Linz vgl. die entsprechenden Kapitel der vorliegenden Arbeit.
109 Zur Rolle des »Kunstintendanten« oder »Hofbaumeisters« Warnke, Hofkünstler (1996), 224–240.
110 Penz, Kalendernotizen (2013) ; Gierse, Bildprogramme (2010), 122–123. Hinzuweisen wäre im Zu-
sammenhang beispielsweise ebenso auf die Äbte von Lilienfeld, Melk und Göttweig, die selbst Pla-
nungen vornahmen oder die planenden Entwerfer und Ausstattungskünstler mit Bedacht auswählten,
um ihre eigenen Vorstellungen realisiert zu sehen.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band I: Östliche Landsteile
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- I: Östliche Landsteile
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 730
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693