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Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente |
67Zu
den Detailformen
werk« (Bandelwerk) von Jean Bérain d.
Ä. (1637–1711) und Daniel Marot (1661–1752)
durch Kupferstiche in Wien bekannt wurden, ersetzten nun vielfach den welschen
Akanthus.136 Es handelt sich bei dieser Ornamentform um ein genuin zweidimensiona-
les Ziermotiv, das namentlich seit dem zweiten Jahrzehnt über die Flächen von Möbeln
gelegt wurde. Hinzu konnten wie in Göttweig (Abb. 136) charakteristische Grotesken
treten, für die ebenfalls französische Vorlagenstecher die Inventionen lieferten. Die
vielleicht frühesten, in Anlehnung an den französischen Geschmack gebauten Möbel
im Osten Österreichs finden sich unter den Einrichtungsstücken der Sommersakristei
des Klosters Melk sowie unter den Möbeln des Stiftes Heiligenkreuz (Abb. 143, 144,
216–218). An der 1701 vom Wiener Hoftischler Matthias Rueff (1658–1718) und vom
Bildhauer Giovanni Giuliani (1663–1744) gefertigten Bibliotheksausstattung der Zis-
terzienserabtei wirken vor allem die schön gemaserten Furniere und die eingelegten de-
likaten, kantenparallel geführten Adern. Geschwungene Bänder zusammen mit etwas
Akanthus und anderen Dekorformen kommen hier noch am Schnitzaufsatz vor. We-
nige Jahre später entstand das Chorgestühl von Heiligenkreuz (Abb. 147–150 ; Farb-
taf.
10), ebenfalls ein Ergebnis der Zusammenarbeit von Rueff und Giuliani. Auffallend
feine, locker über die Fläche verteilte Akanthusranken, zieren die Brüstung des Möbels.
Durchaus untypisch für den Schnitzzierrat an zeitgenössischen Tischlerarbeiten, lässt
ihr Aussehen eher an die Künste eines Stukkateurs als an jene eines Bildhauers denken.
Und wirklich schuf Antonio Aliprandi 1708 in der Heiligenkreuzer Sakristei ähnlich
luftig wirkende Stuckornamente.137 Sie gehen auf den »Stil der zarten Ranke« zurück,
den Santino Bussi (1663–1737) um 1700 in Wien einführte.138 Als kennzeichnend für
diese Formensprache gelten weichgeschwungene, anmutige Ranken, zarte Pflanzen-
stängel, feingliedriger Akanthus sowie Blattlaub, das besonders das Ende der Ranken-
spiralen betont. All das beschreibt auch gut den Charakter der Verzierungen an den
Vorderwänden der Stallen. Möglicherweise liegen den Schnitzmotiven der Gestühls-
brüstung ja tatsächlich Entwürfe von Aliprandi zugrunde.139
Dagegen wartet das Dorsale des Giuliani-Gestühls bereits mit veritablem Laub-
und Bandlwerk auf, hier in geschnitzter Form. Die Arbeiten bestehen aus einem dich-
136 Berliner/Egger, ebd., Bd.
1, 93–95, Bd.
3, bes. die Abb.
1135–1142 sowie 1150–1154. Außerdem Franz,
Bandlwerck (2006) ; ders., Ornamentvorlagen (2011), bes. 38, 42–44.
137 Neumann, Handwerk (1879), 163.
138 Blazicek, Stuckateure (1964), bes. 121 und Abb. 165 ; Preimesberger, Stukkatur (1964), 328 ; Werner,
Bussi (1992), bes. 13–14. Hierzu auch Irmscher, Akanthus (2000), 493, 510.
139 Nach Wagner (Heiligenkreuz, 2007, 149) bezeichnet die Ornamentik der Brüstung den Übergang
vom Akanthusstil zum Bandlwerk. Andererseits könnte es sich aber auch um die Wiederaufnahme
rinascimentaler Formen handeln. Ferrari, Legno [ca. 1928], Taf. 55–59, mit dem Chorgestühl in San
Pietro in Perugia aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band I: Östliche Landsteile
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- I: Östliche Landsteile
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 730
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693