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Die Entwicklung des Kirchenmobiliars |
91Zur
Geschichte der Beichtstühle
erst 1551, als man mit einem Beschluss des Konzils von Trient die Aufforderung zur
Beichte bekräftigte und zugleich Gemeinschaftsbeichten mit öffentlichen Schuldbe-
kenntnissen untersagte. Der entscheidende Schritt in Richtung der verpflichtenden
anonymen Einzelbeichte war nunmehr getan. 1565 bestimmte die Geistlichkeit auf
dem ersten Mailänder Konzil, dass Beichten tagsüber und außerhalb des Chorraums
stattzufinden hätten. Zudem sei auf eine strikte räumliche Trennung von Beichtvater
und Beichtenden zu achten. Dem Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo (1538–1584)
fiel die Aufgabe zu, allgemeingültige Regeln zur praktischen Umsetzung des Beschlus-
ses aufzustellen. In seinen 1577 veröffentlichten Instructiones gab er ausführliche Hin-
weise zur Beschaffenheit des neuen kirchlichen Ausstattungsstücks, in zahlreichen
Kommentaren wurden seine Bestimmungen präzisiert.207 Damit leitete Borromeo die
eigentliche Entwicklung des Beichtstuhls ein.208
Der Standort der Möbel konnte relativ frei gewählt werden ; normalerweise platzierte
man sie außerhalb des Altarraums, in mehrschiffigen Bauwerken häufig in den Seiten-
schiffen. Bedingung war ihre Aufstellung an gut beleuchteten und frei zugänglichen Or-
ten.209 Der confessionale sollte als vorn offenes Gehäuse konstruiert, die Zelle des Priesters
allerdings mit einer Tür verschlossen werden.210 Nach Borromeo hatte der Raum für die
Beichtenden mit Dach, Rück- und Außenwand versehen zu sein, doch wurde häufig
darauf verzichtet ; es genügte offensichtlich, wenn ihn die Bodenplatte unter dem Möbel
definierte.211 Der Pönitentiar saß, das Beichtkind kniete. Unerlässlich war in jedem Fall
die physische Trennung von Beichtvater und Pönitent durch eine Scheidewand mit fens-
terartiger Öffnung. Direkte Kontakte zwischen ihnen waren damit nur noch durch das
Sprechgitter, das sogenannte confessarium, das aus Metall oder Holz bestand, möglich.212
207 Borromeo, Instructiones fabricae (2000), Bd. 1, Kap. 23, 108–119 ; vgl. Mayer-Himmelheber, Kunst-
politik (1984), 150 ; Meulen, Beichtstuhl (2009), 109. Mit Nachdruck wiederholt wurden Borro-
meos Ausführungen beispielsweise auf den Kölner Diözesansynoden der Jahre 1612, 1662 und 1860 ;
Schlombs, Entwicklung (1965), 95–96, 134–137. Vgl. auch Gavanto, Enchiridion (1682), bes. 64.
208 Wahrscheinlich orientierte sich Borromeo dabei an Vorschlägen des Veroneser Bischofs Gian Matteo
Ghiberti von 1542. De Boer, Ad audiendi (1991), 543–572 ; Meulen, ebd., 109–110 ; Thümmel, Kir-
chenGeschmuck (2009), 63–64.
209 Gleichwohl können in österreichischen Kirchen Lösungen mit Beichtstühlen hinter dem Hochaltar
nachgewiesen werden. Schlombs, Entwicklung (1965), 64. Vgl. hierzu auch das Kapitel mit der Be-
schreibung von Sakristeiausstattungen. In evangelischen Kirchen wurden Beichtstühle dagegen meist
im Altarraum, seit dem späten 18. Jahrhundert vor allem in der Sakristei aufgestellt. Heidelmann/
Meissner, Beichtstühle (2001), 14–15.
210 Schlombs, ebd., 134–135.
211 Borromeo, Instructiones fabricae (2000), Bd. 1, Kap. 23, 112–113 ; Mayer-Himmelheber, Kunstpolitik
(1984), 150, 153 ; Meulen, Beichtstuhl (2009), 111.
212 Vermutlich war das eine Reaktion auf Beschwerden über physische Übergriffe von Pönitentiaren auf
Pönitenten. Hersche, Muße (2006), Bd. 2, 685.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band I: Östliche Landsteile
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- I: Östliche Landsteile
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 730
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693