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Die Entwicklung des Kirchenmobiliars |
99Zur
Geschicht der Laiengestühle
In den Jahren um 1700 akzentuierten Pilaster oder Säulen die Mittelachse der
Außenwangen, deren geschwungene Seiten dem Zeitgeschmack entsprechend mit
Schnitzarbeiten verziert waren (Abb. 17, 186). Rückseitig war in eine Auswölbung
über dem Wangenfuß die Stirnseite der Kniebank eingegratet, vorne in den Bauch die
Sitzbank. Die Wangen waren meist annähernd symmetrisch oder auch völlig symme-
trisch gestaltet, ein Aufbau, der auch noch für die Bestuhlung der Wiener Karlskir-
che aus den 1730er-Jahren kennzeichnend ist (Abb. 39). Gleichwohl sollte sich dies
in der hier untersuchten Kunstlandschaft seit der Mitte der 1720er-Jahre allmählich
ändern, wie die Bänke von Matthias Steinl (1643/44–1727) für St. Peter in Wien
und für die Stiftskirche Klosterneuburg belegen (Abb. 66, 178). Steinl gab die tra-
ditionelle Symmetrie der Docken auf, indem er über der Kniebank auf den Bauch
und unter der Sitzbank auf die Wölbung über dem Fuß verzichtete. Das war mög-
lich, da diese Schweifungen keinen konstruktiven Vorgaben, sondern lediglich ästhe-
tischen Überlegungen folgten. Noch immer betonten aber häufig Säulen oder Pilaster
die Mittelachse sowie die vertikale Ausrichtung der Wangen. Auf die Stützen wurde
meist erst seit den vierziger oder fünfziger Jahren verzichtet, doch gab es später auch
hiervon noch Ausnahmen wie das um 1770 entstandene Laiengestühl in der Göttwei-
ger Stiftskirche (Abb. 141, 142). Vorderbrüstungen und Hinterwände der Bankreihen
vervollständigten die Tischler im Osten Österreichs analog zu den Seitenwangen mit
Schnitzarbeiten, Marketerien und Stützen, außerdem sind sie im Unterschied zu Bän-
ken in andern Regionen Österreichs durchgehend geschlossen.246
Ebenso wenig einheitlich wie die Form der barocken Laiengestühle war die Ober-
flächengestaltung, mit der man die Möbel bei der Herstellung vervollkommnete. Zu-
nächst existierten bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein Möbel aus Massivholz, die
auf traditionelle Art mit Schnitzarbeiten verziert waren. Als Beispiele hierfür können
die kurz vor 1700 in der Wiener Dominikanerkirche (Abb. 15–17) oder die um 1709
geschaffenen Bänke in der Kremser Piaristenkirche (Abb. 184–186) genannt werden.
Dann existieren wie in der Wiener Peterskirche oder in der Linzer Priesterseminarkir-
che mit Furnieren überzogene Stücke aus den 1720er-Jahren, die zusätzlich Schnitz-
ornamente aufweisen (Farbtaf. 05 ; Abb. 65, 66, 341, 342). Wurde der Schmuck an
den Möbeln in der Peterskirche noch gleichwertig behandelt, so beschränkt sich der
Schnitzzierrat in der Priesterseminarkirche auf das Allernötigste ; das Furnierbild be-
stimmt dort das Aussehen der Möbel. Selten kommen dagegen wie im Neukloster
Bänke vor, die lediglich furniert sind (Abb.
258). Bestehen die Schnitzarbeiten norma-
lerweise aus dunklem Holz vor ebenfalls dunklem Grund, präsentieren die Bankreihen
im Mittelschiff der Stiftskirche zu Geras eine ausgefallene Lösung, da man dort die
246 Hierzu mehr im zweiten Band der Untersuchung.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band I: Östliche Landsteile
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- I: Östliche Landsteile
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 730
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693