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13Einleitung
absinkende Vergangenheit, die nicht vergehen wollte, weiter, während
sie als Erbe neu entstand.
Wenn man nun die Aufklärung aus der Geiselhaft der Moderne
befreit, ergibt sich ein neues Erklärungsraster, das im Verlauf des Bu-
ches erprobt wird. Der hier präsentierte Zugriff betrifft zunächst die
Genealogie der Aufklärung: Hier wird der Nachweis geführt, dass die
Aufklärung woanders herkam, als es die Erfolgsgeschichte der säkular-
demokratischen Moderne suggeriert, die sie ja als alleiniges Resultat
der Reformation und der Wissenschaftlichen Revolution präsentiert.
Im Folgenden werden andere Quellen angezapft: Die Bibelhermeneu-
tik und der Antiquarianismus, der katholische Newtonianismus und
die Kameralkunst, die Naturrechtslehre und die Leibniz-Wolff’sche
Verarbeitung der Barockscholastik. Damit geht eine Verlagerung im
Raum einher. Aufklärung fand auch woanders statt, als es die Lehr-
bücher suggerieren: Sie etablierte und verstetigte sich abseits West-
europas. So erscheint Zentraleuropa nicht mehr als defizitäre Region,
deren Intelligenz dazu verurteilt war, Frankreich und England nach-
zuahmen.3 Schließlich taucht auf diese Weise auch die Frage nach der
Wirkmacht der Aufklärung auf. Die Aufklärung gipfelte nicht auto-
matisch in der revolutionären Volkssouveränität: Daraus folgt, dass
man im Speziellen die Aufklärung in Zentraleuropa, das ja keine Revo-
lution hervorbrachte, nicht mehr einfach als gescheitert, als Sackgasse
abschreiben kann. Vielmehr beginnt man sich dafür zu interessieren,
was eigentlich unter den Vorzeichen der Revolutionsabwehr in der
Habsburgermonarchie mit der Aufklärung geschah.
Was folgt daraus für die Geschichte des Habsburgerreichs?4 Die-
ses Buch entkräftet das herkömmliche Bild der Monarchie als Bastion
gegen Aufklärung und Revolution und zeigt, weshalb dieses Selbst-
behauptungsmuster ab den 1790er Jahren als Wunschbild in die Welt
gesetzt wurde, das die sich gleichzeitig entfaltende dynamische Ent-
wicklung jener Zeit verschleierte. Im Folgenden wird das Verhältnis
von Aufklärung und Restauration neu bewertet, ohne dabei der anti-
revolutionären Inszenierung der Habsburgermonarchie als Hort der
alten Ordnung auf den Leim zu gehen.5 Daraus ergibt sich folgerichtig
3 Vgl. Franz L. Fillafer, Whose Enlightenment?, in: AHY 48 (2017), 111-125.
4 Als kompakten und kreativen Widerpart zur älteren reaktionsfixierten Litera-
tur über die Epoche vgl. jüngst Pieter M. Judson, Habsburg. Geschichte eines
Imperiums, 1740-1918, ü. v. Michael Müller, München 2017, 76-202. Auf die
reichhaltige, aber verstreute jeweils sacheinschlägige Spezialliteratur wird un-
ten en détail verwiesen.
5 Vgl. Jean-Claude Caron, Entre la renovación y la reevaluación. Jalones en la
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513