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Patriotismus des Joseph von Sonnenfels
ferent der von Leopold reorganisierten Kompilationshofkommission,
die für die Rechtskodifikation der Monarchie zuständig war, eine
»Aufstellung der leitenden Grundsätze« der Gesetzgebung. In diesem
Dokument zog Sonnenfels seine Schlüsse aus dem Scheitern des Ein-
heitsstaats. Ein Teil der nötigen leitenden Grundsätze, heißt es, sei
»überall unveränderlich«, weil sie sich »auf Grundbegriffe stützen, die
bei allen Staaten übereintreffen«, ja aus der »Wesenheit des Staates«
fließen. »Das sind die Grundsätze, welche die Rechte des Bürgers be-
stimmen« und »ohne Rücksicht auf den einzelnen Staat« Gültigkeit
beanspruchten.14 In diese Kategorie gehörten die »Rechte der Mensch-
heit«, die übergeordneten Grundsätze des jeweiligen Staates und »die-
jenigen, welche sich von der in den sämmtlichen Provinzen gleichen
Regierungsform ableiten«, sie »werden sowohl an sich selbst, als nach
ihrer Anwendung an allen Orten gleich seyn«.
Dann lenkt Sonnenfels den Blick auf »Lokalverschiedenheiten«,
wenn es im Duktus postjosephinischer Schadensabwicklung heißt:
Es möge für die »Eigenmacht einer Regierung« oder für den »Des-
potismus eines alle Gewalt ausschließlich an sich reißenden Ministe-
riums […] große Bequemlichkeit haben, ein ungeheures Reich nach
einer einzigen Formel zu beherrschen, mit einem einzigen Winke den
entferntesten Völkern […] eine gleiche Bewegung vorzuschreiben«
und »die Spuren aller Verschiedenheit zwischen den Provinzen zu
verlöschen.« Dies aber, so heißt es im Protokoll in bewusstem Kon-
trast zu Joseph II., widerstrebe den Absichten Leopolds, der nicht
gewillt sei, »der Nation eine von ihr nicht dafür erkannte Wohlfahrt
aufzudringen«. Leopold II. halte es nicht für unter seiner Würde,
»mit der Nation selbst über die Mittel zu Rath zu gehen, wodurch die
gemeinschaftliche Wohlfahrt gegründet, befördert werden soll«. Der
»Vortheil der Einförmigkeit« der Verwaltung müsse einleuchten, die
»Gleichförmigkeit« dürfe aber nicht zu »kleinerliche[r] Nämlichkeit«
ausarten, welche die »Mannigfältigkeit der Sitten, der Charaktere, des
Clima, der Erzeugnisse, selbst der Bedürfniße« nivelliere. Vor der Fo-
lie des Scheiterns Josephs II. stellte Sonnenfels fest, dass es noch nie
14 Protokoll der Vorberatschlagung vom 26ten März 1791 über die Einrichtung
der politischen Gesetzkompilation, zit. n. Anna Maria Drabek, Patriotismus
und nationale Identität in Böhmen und Mähren, in: Otto Dann (Hg.), Pa-
triotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches,
Köln 2003, 151-170, 157. Vgl. Stephan Wagner, Der politische Kodex. Die
Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich
1780-1818, Berlin 2004, 58. Über Sonnenfels’ Kodifikationsprojekt des
»Politischen Kodex« ausführlich Kap. VI.1.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513