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41Revolutionsabwehr,
Sprachnationalismus und dynastische Loyalität
das sie den Schriften Johann Gottfried Herders und Arnold Hermann
Ludwig Heerens entlehnten: Dieses Epistem erlaubte es seinen Nut-
zern, die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Angehörigen
einer Nation zu postulieren, die an ihrer Kultur (Volkspoesie, Volks-
lied, Märchen, Brauchtum) teilhatten, so wurden die untersten Schich-
ten, die von der politischen Repräsentation ausgeschlossen blieben, zu
den eigentlichen Träger des unverfälschten Nationalgeists.54 Auf diese
Weise durchbrach das vom Hormayr-Kreis adaptierte inklusive Kul-
turkonzept Herders die ständischen Abstufungen und religiösen Diffe-
renzen, die vormals die Nation entzweit hatten.55
Vollends erschließt sich Hormayrs Bedeutung, wenn man die
Historisierung des aufgeklärten Patriotismus rekonstruiert, die er im
Schatten der Französischen Revolution vornahm: Hormayr machte im
Rückblick die sprachnationalen Züge der Aufklärungsbewegung ver-
gessen, er grenzte das genuine Nationalbewusstsein holzschnitthaft von
der Aufklärung ab und verengte diese auf einen saft- und kraftlosen
Kosmopolitismus. Indem er den Sprachnationalismus von der Auf-
klärung abgrenzte, versuchte Hormayr, ihn in ein antirevolutionäres
Gewand zu kleiden und damit für die Restauration akzeptabel zu ma-
chen. Bemerkenswert ist daran zweierlei, der Umgang Hormayrs mit
den josephinischen Reformen und ihrem Erbe, sowie die Funktion, die
Hormayrs Patriotismuskonzept für die nationalliberale Völkerfreund-
schaft des Vormärz besaß.
Für die Historiker und Literaten im Kreise Hormayrs war die
»vielgepriesene Aufklärung« in ihrem »Mittagsglanz« des Hyperrati-
onalismus, der Idolatrie der »Ziffern und Massen« verdächtig, Joseph
II. wurde der Gleichmacherei und des wandalischen Banausentums
überführt:
54 Vgl. Kap. VI.9. Weiters Jitka Sedlářová, Joseph von Hormayr zu Horten-
burg (1781-1848) a počátky romantismu na Moravě [Joseph von Hormayr
und die Anfänge der Romantik in Mähren], in: Mezi časy, 114-126; Vla-
dimír Macura, Znamení zrodu a české sny [Geburtsmale und tschechische
Träume], Praha 2015, 191-200. Die exzellente Arbeit von Helmut Keipert,
Arnold Heeren als Förderer der sogenannten »Nationalen Wiedergeburt«
bei den Slaven, in: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göt-
tingen, Philologisch-historische Klasse. N. F. Bd. 7: Studien zur Philologie
und zur Musikwissenschaft (2009), 103-208, weist minutiös die Funktion
von Hormayrs Archiv als Transmissionsriemen für Heerens Beitrag Über
die Mittel zur Erhaltung der Nationalität besiegter Völker (1810) nach.
55 Vgl. Horst Dreitzel, Herders politische Konzepte, in: Gerhard Sauder (Hg.),
Johann Gottfried Herder, 1744-1803, Hamburg 1987, 267-298.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513