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43Revolutionsabwehr,
Sprachnationalismus und dynastische Loyalität
bunden an exemplarische Fürstentugenden des Landesvaters, der weise
seine Völkerfamilie regierte.60
Als der ungarische Ökonom und protestantische Kirchenfunktio-
när Gregor von Berzeviczy61 1817 in Hormayrs Archiv für Geogra-
phie, Historie, Staats- und Kriegskunst einen Essay veröffentlichte, in
dem er das »Unbestimmte, Zufällige, Schwankende«62 der Nationalität
betonte, glossierte Hormayr als Redakteur nur im Fließtext zwei Fra-
gezeichen »(??)«. Berzeviczy hielt fest,
daß es in Europa keine ursprünglichen Nationen mehr gibt; daß
die Sprache kein Beweis der Nationalität ist; daß der Begriff der
Nationalität jetzt nicht im Stamm, Ursprung, auch nicht in der
Sprache, sondern eigentlich staatsrechtlich im Staate zu suchen
sey. – Einheit der Regierung, der Verwaltung führt zur Gleichheit
der Gebräuche, Gesetze und Denkart; und dieß macht verschiedene
Völker, wenn sie auch verschiedene Sprachen reden, zu einer Staats-
nation; und mit dieser Nationalität mag man sich begnügen, da man
die ursprüngliche verloren hat.63
60 Vgl. Waltraud Heindl, Vom schwierigen Umgang mit (Helden-)Ahnen in
der Zeit des Nationalismus. Bürgerliche Tugenden, christliche Frömmigkeit
und Herrscheridole in der Repräsentanz des Hauses Habsburg, in: Catherine
Bosshart-Pfluger u. a. (Hg.), Nation und Nationalismus in Europa. Kultu-
relle Konstruktion von Identitäten, Frauenfeld; Stuttgart 2002, 395-418.
61 Über Gregor von Berzeviczy (1763-1822) siehe Éva H. Balázs, Berzeviczy
Gergely, a reformpolitikus (1763-1795) [Gregor Berzeviczy, der Reform-
politiker], Budapest 1967; Moritz Csáky, »Hungarus« oder »Magyar«. Zwei
Varianten des ungarischen Nationalbewußtseins zu Beginn des 19. Jahrhun-
derts, in: AUB 22 (1982), 71-84.
62 Gregor von Berzeviczy, Etwas über Nationen und Sprachen, in: Archiv 8
(1817), 287-289, 287. Vgl. Ferenc Kazinczy über Berzeviczy an László Sza-
lay, 19. 11. 1829: »Dieser Mensch, der gerne mit seiner Auslandserfahrung
prahlte, erwarb sich noch mehr den Ruf der Unüberlegtheit, als er in klarer
Form lehrte: der denkende Mensch kann kein Ungar sein, er ist ein Weltbür-
ger, folglich tadelte er alles was er zu Hause sah. Er konnte nicht richtig Un-
garisch sprechen, das Lateinische beherrschte er auch schlecht, also war er
kein Ungar, sondern ein deutscher Weltbürger.« In: Kazinczy Ferenc levele-
zése [Der Briefwechsel von Ferenc Kazinczy], 23 Bde., Budapest 1890-1960,
XXI, 148-149; ebd., 150: »Hinzuzufügen wäre nur noch, daß der Verfasser
der Schrift ›De Conditione rusticor. in Hung.‹ der verhassteste Grundherr
war, er schund seine Leibeigenen. So sind die Kosmopoliten.«
63 Berzeviczy, Etwas über Nationen und Sprachen, 288.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513