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Aufklärung habsburgisch - Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
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98 Die katholische Aufklärung Kontext der theresianischen Studienreform den Charakter eines von Staatswegen erwünschten, strategischen Neuerungssignals: Die Bereit- schaft, »scholastische« Denkformen auszumerzen, gehörte zum Befä- higungsnachweis der Reformelite, sie verschaffte raschen Zugang zu den maßgeblichen Gremien und Zitierkartellen der neuen Zeitschrif- tenkultur. Der Prager Expauliner und Gymnasialinspektor František Faustin Procházka stellte für seine Gelehrtengeschichte Böhmens und Mährens von 1782 einige Leckerbissen, eine Sammlung skurriler scho- lastischer »Quaestiones« zusammen: Würden Haare und Fingernägel dereinst auferstehen? Konnten die drei Weisen aus dem Morgenlande durch ihre Sternguckerei das Mysterium der Trinität ergründen? Wie lässt sich das Datum des Jüngsten Gerichts berechnen und schließlich: feiern die Cherubim und Seraphim im Himmel Fronleichnam?90 Die Innovationsdividende, welche den Aufklärern in Gestalt von Lehrstühlen, Belobigungen und Prämien zuteilwurde, darf nicht dazu führen, ihre Selbststilisierung als Überwinder der Barockscholastik für bare Münze zu nehmen. Die Verarbeitung der Scholastik verlief auf drei Ebenen, jener der Methodik, der Konstitution der Erkenntnis- gegenstände und des Gelehrtenhabitus durchaus asynchron. Wie die Scholastikschelte in den Auseinandersetzungen um universitäre Res- sourcen während der theresianischen Studienreform eingesetzt wurde, zeigt der Prager Fall, der hier kurz analysiert werden soll. Mit den theresianischen Reformen wurde die antischolastische Polemik zum Distinktionsmerkmal und damit auch zur beliebten Kampfformel. Die Prager Episode ist aber auch für den zweiten angeschnittenen Fra- genkomplex ergiebig, dafür nämlich, was mit den scholastikkritischen Ressourcen der barocken Gelehrsamkeit im Kontext der aufkläreri- schen Wissenstransformation geschah. Das Prager Beispiel macht die Vielfalt der damals desavouierten Barockgelehrsamkeit greifbar, zwei ihrer Habitusformen wurden hier gegeneinander ausgespielt, jene des weltabgewandten Gelehrten (éru- heit, FLF], und andern dergleichen elenden Sächelchen unterhielt man die österreichischen Genies, die bey andern Unterweisung dem Geschmacke und ihrem Vaterlande Ehre würden gemacht haben.« Zum Auslandsstudium des österreichischen Adels die klassische Arbeit von Klingenstein, Der Aufstieg des Hauses Kaunitz, 112-253. 90 František Faustin Procházka, De saecularibus liberalium artium in Bohe- mia et Moravia fatis commentarius, Pragae 1782, 396-397. Zugleich betonte Procházka aber die hervorragende (caste pureque, also fromme und reine) Latinität der Schulphilosophen, die erst durch den Stilverfall seit dem späten 17.  Jahrhundert der Geschmacklosigkeit gewichen sei und sich der klassi- schen Naturerkenntnis entfremdet habe (381).
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Aufklärung habsburgisch Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
Titel
Aufklärung habsburgisch
Untertitel
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
Autor
Franz Leander Fillafer
Verlag
Wallstein Verlag
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
ISBN
978-3-8353-3745-9
Abmessungen
14.0 x 22.2 cm
Seiten
628
Schlagwörter
Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
Kategorien
Geschichte Vor 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 11
  2. I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
    1. 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
    2. 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
    3. 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
    4. 4. Zwischenresümee 49
    5. 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
    6. 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
    7. Ergebnisse 64
  3. II. Die katholische Aufklärung 67
    1. 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
    2. 2. Die theresianischen Reformen 71
    3. 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
    4. 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
    5. 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
    6. 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
    7. 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
    8. Ergebnisse 122
  4. III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
    1. 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
    2. 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
    3. 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
    4. 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
    5. 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
    6. 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
    7. 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
    8. Ergebnisse 192
  5. IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
    1. 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
    2. 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
    3. 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
    4. 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
    5. 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
    6. 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
    7. Ergebnisse 252
  6. V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
    1. 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
    2. 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
    3. 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
    4. 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
    5. 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
    6. 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
    7. 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
    8. 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
    9. 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
    10. Ergebnisse 331
  7. VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
    1. 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
    2. 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
    3. 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
    4. 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
    5. 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
    6. 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
    7. 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
    8. 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
    9. 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
    10. 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
    11. 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
    12. Ergebnisse 443
  8. VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
    1. 1. Die Josephiner und die Revolution 455
    2. 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
    3. 3. Josephiner versus Romantiker 471
    4. 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
    5. 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
    6. Ergebnisse 492
  9. VIII. Überblick 497
  10. IX. Was war Aufklärung? 513
    1. Das Gesamtbild 525
    2. Anhang 529
    3. Abbildungen 529
    4. Archivalien 530
    5. Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 532
    6. Quellen und Literatur 539
    7. Personen- und Sachregister 620
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