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178 Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar
Leopold I. die freie Religionsausübung zugesagt hatte, sollte nach und
nach zur griechisch-katholischen Kirche übertreten; indem sie unter
die Hoheit des Papstes gelangten, würden die Orthodoxen auch loyale
Untertanen der apostolischen habsburgischen Majestäten werden.161
Als im Jahr 1807 die Würde des galizischen griechisch-katholischen
Metropoliten von Halyč mit Sitz in Lemberg und Suffraganbistümern
in Przemyśl und Chełm geschaffen wurde, erhofften sich die Hof-
behörden, russische Untertanen in Podolien und Wolhynien in das
Primatialgebiet der neuen Erzdiözese zu integrieren.162 Sobald das
einst venezianische Dalmatien 1814 habsburgisch wurde, erhob sich
auch hier sich neuerlich die Unionsfrage, die schon verschiedentlich
im Falle der serbischen Uskoken in Ungarn und an der Militärgrenze
sowie der orthodoxen Wallachen (Rumänen) in Siebenbürgen virulent
geworden war.163
Die Beamten des frühen 19. Jahrhunderts waren von der Staats-
zwecklehre der aufgeklärten Polizeywissenschaft geprägt, die ihnen
an den Universitäten der Monarchie vermittelt wurde. Der Zweck des
Staates war die Realisierung des allgemeinen Besten, das wiederum im
friedlichen Zusammenleben von Bürgern bestand, deren Religionszu-
gehörigkeit im nutzen- und genussbasierten Menschenbild der Staats-
lehre nicht mehr als Heilsverheißung, sondern als loyalitätsstiftender
Faktor in Betracht kam.164 Als Dalmatien habsburgisch wurde, kam in
der für die Integration der neuen Gebiete zuständigen Zentral-Organi-
sierungs-Hofkommission die Idee auf, die dortigen orthodoxen Schäf-
chen durch Konversion zur griechisch-katholischen Kirche enger an
die Monarchie zu binden, dieser Vorschlag wurde aber rasch ad acta
gelegt. Als orthodoxe Geistliche in den 1820er und 1830er Jahren um
dapest 1939, 24-89; Boriska Ravasz, A magyar állam és a protestantizmus
Mária Terézia uralkodásának második felében [Der ungarische Staat und
der Protestantismus in der zweiten Hälfte der Regierung Maria Theresias],
Budapest 1935; Jenő Sólyom, Az evangélikus templom története Magyar-
országon [Geschichte des evangelisch-lutherischen Gotteshauses in Un-
garn], in: ders., Tanuljunk újra Luthertől!, Budapest 2004, 111-126.
161 Einführend Helmut Rumpler, Politik und Kirchenunion in der Habsbur-
germonarchie, in: ÖOH 6 (1964) 302-320.
162 Sergio Bonazza, Bartholomäus Kopitar, Italien und der Vatikan, München
1980, 75-93; Stasiw Myron, Metropolia Haliciensis (Eius historia et juridica
forma) (Analecta Ordinis S. Basilii Magni, ser. 2, Sect. 1, Vol. XII), 2. Aufl.,
Rom 1960.
163 Prägnant Franz Miklošič, Joseph Fiedler, Slavische Bibliothek, oder, Bei-
träge zur slavischen Philologie und Geschichte, Bd. II, Wien 1858, 201.
164 Vgl. Kap. V.4.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513