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187Die
liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat
sophie Johann Friedrich Herbarts193 im Mittelpunkt. Besonders die
Güntherianer ließen kein gutes Haar an den Anhängern Bolzanos, die
ihnen als Wegbereiter Herbarts galten. Sie polemisierten gegen den
Bolzano-Schüler Unterrichtsminister Leo Graf Thun-Hohenstein,194
der Anhänger Herbarts für die österreichischen Universitäten rekru-
tierte.195 Um jeden Preis, schrieb Anton Günther im April 1851 an
einen Schüler, gelte es zu verhindern,
daß irgend eine philosophische Weltansicht Staatsphilosophie werde,
in welchem Falle es Oesterreich ergehen könnte wie Preußen unter
der Herrschaft der Hegelianer. Aber wo ist der Oesterreicher, der
diesen Plan zu würdigen wüßte! Graf Thun, welcher Bolzanist in
der Religion und Herbartianer in der Philosophie ist, gewiß nicht.196
Die Anhänger Günthers malten den Teufel einer monistisch-panthe-
istischen Staatsphilosophie an die Wand: Diese »monadische« her-
bartianische Staatsphilosophie gefährde die Freiheit des öffentlichen
Lebens und des christlichen Glaubens.197 Die Herbartschule stehe bei
der Regierung hoch im Kurs: Sie ermögliche es, die eben mühsam
errungene Lehr- und Lernfreiheit wissenschaftspolitisch auszuhebeln,
indem sie intellektuelle Homogenität schuf, zudem tauge sie angeblich
als Waffe gegen die »Philosophie« überhaupt, der – einschließlich der
christlichen Philosophie, wie sie Anton Günthers Kreis betrieb – im
Kreis Leo Thuns die europäischen Revolutionen seit 1789 angelastet
wurden.
193 Vgl. Kap. III.4.
194 Vgl. Kap. VI.11.
195 In den veröffentlichten Stellungnahmen wird noch an Thuns Tapferkeit
und Patriotismus während des »Sturmjahres« appelliert, dieselben Qua-
litäten werden ihm auch als Universitätspolitiker abverlangt, wenn sich die
Herbartianer mit den Prager Aufrührern des Pfingstaufstands in eine Linie
gestellt finden: Thun, »der den böhmischen Rebellen so muthig widerstand,
der wird es auch den herbartischen Revolutionärs gegenüber wagen, und
sich nicht dazu hergeben, das Ansehen der Regierung in den Koth zu zie-
hen, indem der fremde und feige Rath: morgen versteckt zu läugnen, was
man heute offen zugesteht, befolgt wird«, H. [Johann M. Häusle?,] Zur
Universitätsfrage, in: WK 26. 8. 1851, 533-534, 534.
196 Anton Günther an Johann N. Ehrlich, 30. 4. 1851, zit. n. Peter Knoodt, An-
ton Günther. Eine Biographie, 2 Bde., Wien 1881, Bd. II, 71-72.
197 Vgl. Eduard Winter, Die geistige Entwicklung Anton Günthers und seiner
Schule, Paderborn 1931, 256; [Johann M. Häusle?,] Das Provisorium der
Universitätsordnung in Wien, in: WK, 9. 8. 1851, 489.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513