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der Naturphilosophie abblockten: Zu diesem Zwecke bedienten sich
Exegeten und Physiker der josephinischen Antischwärmerei-Rhetorik.
Beide Wissenschaftsmilieus weihten sich dem peniblen und nüch-
ternen Studium des objektiv Gegebenen, sie fügten sich auf vorzügli-
che Weise in das restaurative Anforderungsprofil »positiven Wissens«.
Dieses Wissensregime war in den 1790er Jahren unter antirevolutio-
nären Vorzeichen entstanden: Die josephinische Aufklärung mit ihrer
Animosität gegen Subjektivismus und Spekulation mündete hier in
ein antikantianisches Programm, für das – anders als etwa in Frank-
reich nach 1789, aber analog zum britischen Newtonianismus nach der
Glorious Revolution von 1688 – die Erforschung der Naturgesetze als
Bollwerk gegen die Revolution galt. Die Studienrevisionshofkommis-
sion hat dieses Programm unter Graf Rottenhan ab 1795 erarbeitet. À
la longue wurde die Erforschung des Weltganzen und seiner objektiven
Gesetzmäßigkeiten, die Ehrfurcht vor der etablierten Ordnung einflö-
ßen sollte, aber zum Einfallstor für jenen Liberalismus, dessen Abwehr
sie eigentlich diente: Die liberalen Ästhetiker und Naturforscher der
1820er und 1830er Jahre legitimierten die technischen, sozio-ökono-
mischen und industriellen Fortschritte ihrer Zeit, indem sie diese als
Resultate der altehrwürdigen göttlichen Ordnung, als der inhärenten
Logik des Weltgesetzes entsprechende Systemeffekte erfassten.
Die pauschal gebrauchten Topoi der gegenaufklärerischen Restau-
ration und des Liberalismus, der in der Aufklärung wurzelte, liefern
immer noch die Schneisen, in denen sich die Historiografie bewegt:
Sie trennen das Geschichtsmächtige vom Vernachlässigbaren, die Ma-
gistralen vom Zickzack der Abschweifungen und Irrwege. In diesem
Kapitel wurde gezeigt, dass beide Topoi vormärzlichen Strategien
der Vermächtnissicherung entsprangen, sie ergaben sich aus der poli-
tischen Zurichtung des Aufklärungserbes. Die Liberalen des späten
Vormärz stellten sich als Alleinerben der Aufklärung dar, so geriet der
Kantianismus des restaurativen Klerus in Vergessenheit, die Weltsicht
der Bolzanisten wurde mit dem Etikett »liberal« belegt, weil sie sich
aus der katholischen Aufklärung speiste, und die Funktion des restau-
rativen Wissensregimes als Bindeglied zwischen gemäßigter Aufklä-
rung und liberaler Naturerkenntnis wurde vertuscht.
Die Wissenskultur des Vormärz bildet auch eine Schlüsselstelle
in der Entstehungsgeschichte der »österreichischen philosophischen
Tradition«, die sich angeblich von der Leibniz-Wolff’schen Scholas-
tik über Bolzano und Herbart bis zum Wiener Kreis erstreckte. Die
Friktionen zwischen Bolzanisten und Herbartianern habe ich auf-
gezeigt: Den Universalienrealismus Bolzanos, der den psychischen
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513