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257Die
Monarchie als Wirtschaftsraum
Zollkordon abgeschirmt, war das Kaisertum eine Währungsunion, die
zwei Zollräume sowie verschiedene Fiskalregimes umspannte.6
Dieses Kapitel analysiert die Verbindung von Aufklärung, Restau-
ration und Liberalismus in den habsburgischen Ländern anhand der
Wirtschaftsentwicklung und der politischen Ökonomie. Das geschieht
in drei Schritten: Erstens behandle ich die aufklärerische Neuordnung
der Agrarverhältnisse, die Aufhebung der Grunduntertänigkeit un-
ter Joseph II. und zeige, wie seine legislative Hinterlassenschaft im
Vormärz von konkurrierenden Erben, josephinischen Beamten und
reformkonservativen Aristokraten, eingesetzt wurde. Zudem skizziere
ich, wie sich das kaufkräftige Bürgertum in der durchlässig geworde-
nen altständischen Ordnung einnistete. Zweitens analysiere ich hier
das Werk Sonnenfels’ und seine Tradierung im Vormärz. Konkret wird
aufgezeigt, wie Beamte, Gelehrte und Kaufleute des frühen 19. Jahr-
hunderts Sonnenfels’ Lehre aufgriffen und mit dem Liberalismus
Adam Smith’scher Prägung amalgamierten. Ich stelle das Verhältnis
der Sonnenfels’schen Staatswissenschaft mit rivalisierenden Ausprä-
gungen der Aufklärung, konkret mit dem Vernunftrecht Carl Anton
von Martinis dar und lege dar, weshalb und auf welche Weise diese
Vielfalt der historischen Aufklärung im Vormärz in Vergessenheit
geriet. Drittens schließlich beleuchte ich den Umbau der Monarchie
vom Konglomerat eigenständiger Wirtschaftsräume zu einem Binnen-
markt. Sonnenfels’ Schüler betrachteten die Monarchie als Tableau
verfüg- und veredelbarer Staatsstoffe, das natürliche Reichtümer und
Humanressourcen umfasste. Dagegen sträubten sich die Montesquieu-
Anhänger in der Beamtenschaft, für welche das jeweilige örtliche
Klima, die Bodenplastik und Historie die eigenständige Entwicklungs-
form jedes Landes bestimmten. Als sich das merkantilistische Modell
durchsetzte, führte dies zu einem widersprüchlichen System komple-
mentärer Spezialisierung, das Aufschwung und Wohlstand versprach,
aber das Entwicklungsgefälle zwischen den agrarischen Randgebieten
und den böhmisch-österreichischen Erbländern verstärkte. Für das
wirtschaftsliberale Paradigma, das sich in den 1820er Jahren bei der
Beamtenschaft durchsetzte, waren eben diese regionalen Disparitä-
ten kein Problem mehr: Der freie Handel und Verkehr würde sie auf
natürlichem Wege ausgleichen. Die politische Funktion dieses Wirt-
schaftsliberalismus rekonstruiere ich anhand der Ungarnpolitik bis
1848. Mithilfe der wirtschaftlichen Integration sollte damals glücken,
6 Adolf Beer, Die Zollpolitik und die Schaffung eines einheitlichen Zollgebietes
unter Maria Theresia, in: MIÖG 14 (1893), 277-326.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513