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300 Die Monarchie als Wirtschaftsraum
ten sollten ausschließlich von den ordentlichen Gerichten nach dem
Buchstaben des ABGB beurteilt werden.155
Während Kopetz an der Prager Universität die liberale Dimension
des Merkantilsystems herausarbeitete, wirkte in Wien Joseph Kudler
schulbildend.156 Wie Sonnleithner pflegte er einen Freundeskreis, den
er zu Soireen, Gartenfesten und Hauskonzerten einlud. Kudler trat bis
in die 1840er Jahe für den Freihandel ein157 und löste sich von Smiths
wie Sonnenfels’ Regeln zur Wucherprävention.158 Der deutschnati-
onale Broschürenautor und spätere Paulskirchenabgeordnete Franz
Schuselka beschrieb seinen Lehrer Kudler im Jahr 1842 als »verkör-
perte Negation«, als »Fleisch und Blut gewordene Ironie.« Kudler sei
ein
Stück Voltaire, frivol, geistreich mit einer seltenen Auffassungsgabe
und einer stacheligen Dialektik ausgestattet – seiner Gesinnung wie
seinen Eigenschaften nach ein Talent der Opposition, ein Mann wie
geboren für die Tribüne. Auf anderem Terrain würde Kudler eine
historische Person geworden sein […].159
Kudlers lange erwartetes Hauptwerk, die Grundlehren der Volkswirt-
schaft, erschien im Jahr 1846, auch hier kann von einem glatten Bruch
zwischen Merkantilismus und Liberalismus keine Rede sein. Kudlers
Theorie des »Kostenpreises« führte Sonnenfels’ Anregungen weiter.
Während den Merkantilisten die Arbeit als Repräsentationsweise von
Bedürfnissen galt, die den Wert von Verrichtungen und Gegenständen
bestimmte, hatte Adam Smith das objektive Wertmaß der Arbeit vom
Grund des Warentausches abstrahiert.160 Kudler adaptierte Teile von
delsrechts mit Ausschluß des Wechsel- und Seerechts, ZföR (1828) 3, 491-
499, 492.
155 Wildner von Maithstein, Das österreichische Fabrikenrecht, 146, 160.
156 (1786-1853), ÖBL 4 318-319.
157 In den Grundlehren begeisterte sich Kudler schon für das List’sche System
der nationalen Ökonomie, was ihm barsche Verweise ehemaliger Hörer
eintrug, vgl. Ignaz Wildner von Maithstein, [Rez. v.] Joseph Kudler, Die
Grundlehren der Volkswirthschaft, in: DJ N. F. 3 (=15) (1846), 130-139,
494-507, hier 505-506.
158 Joseph Kudler, Die Grundlehren der Volkswirthschaftslehre, 2 Bde., I,
Theoretischer Teil, Wien 1846, iii-iv, 46-47, 51, 362.
159 [Franz Schuselka,] Oestreich. Städte, Länder, Personen und Zustände,
Hamburg 1842, 176-177.
160 Marcus Sandl, Ökonomie des Raums. Der kameralwissenschaftliche Ent-
wurf der Staatswirtschaft im 18. Jahrhundert, Köln 1999, 424-425, 436.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513