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324 Die Monarchie als Wirtschaftsraum
Der ungarische Landtag, der sich im August 1811 versammelte,
erklärte das Patent zu einem förmlichen Verfassungsbruch: Der Kö-
nig verfüge zwar über das Münzregal, nicht aber über das Recht zur
eigenmächtigen Papiergeldausgabe, die Wiener Banknoten müsse man
in Ungarn eigentlich als Fremdwährung ansehen, zudem stelle die
Abwertung eine fünffache Steuererhöhung dar.237 Das Neutraer Ko-
mitat fand so starke Ausdrücke für das Skandalon des Finanzpatents,
dass Graf Károly Eszterházy als königlicher Kommissar nach Nyitra
entsandt wurde, um die fragliche Seite aus dem Protokollbuch der Ko-
mitatsversammlung zu reißen und einige der Notablen zum Monar-
chen nach Wien zu zitieren.238 Der Landtag blieb felsenfest bei seinem
Standpunkt: Nur ein Finanzausgleich mit dem Königreich, der analog
mit den anderen Ländern der Monarchie zu vollziehen sei, könne eine
gerechte Lastenverteilung ermöglichen. Die Wallis’sche Abwertungs-
skala lehnte der Landtag ab, weil sie das Leistungsgefüge verzerrte und
rückwirkend Wiener Kurssätze zugrunde legte, die der Preisgebarung,
Kapitalstreuung und Umlaufmenge in Ungarn gar nicht entsprachen.239
Zudem werde das ohnedies labile Pachtkreditwesen durch Wallis’ ei-
genmächtige Operationen ruiniert, in Ungarn lägen auch im städti-
schen Handel vielfach keine schriftlichen Werterhebungsdokumente,
also Wechsel oder Schuldverschreibungen, vor.240 Einzig die auf erb-
ländische Rohprodukte angewiesenen ungarischen Gewerbetreibenden,
deren Verbindlichkeiten durch die Abwertungsskala weginflationiert
wurden, waren Profiteure des Wallis’schen Patentes, sie konnten ihre
Lieferanten mit billigem Papiergeld abgelten.241
Patents unterrichtet: Sie hatten ihre Bücher rechtzeitig auf Silber umge-
schrieben und im großen Stil Bancozettel auf den Markt geworfen, Amelie
Lanier, Die Geschichte des Bank- und Handelshauses Sina, Frankfurt a. M.
1998, 46; Mittenzwei, Zwischen Gestern und Morgen, 225.
237 Geschichte der österreichischen Finanzen, in: WBZ, Nr. 34, 26. 11. 1865, [1].
238 Ebda., [2].
239 Vgl. Allerhöchstes königliches Reskript, erlassen an sämmtliche Gespann-
schaften, in Betreff der Geldverhältnisse zwischen Privaten, ÖB Nr. 286,
Sonderbeilage, 12. 10. 1820; Johanna Krafft, Die Finanzreform des Grafen
Wallis und der Staatsbankerott von 1811, Graz 1927, 15-37, 43, 92; Julius
[Gyula] Kautz, Entwickelungs-Geschichte der volkswirthschaftlichen Ideen
in Ungarn und deren Einfluss auf das Gemeinwesen, ü. v. Sigmund Schiller,
Budapest 1876, allgemein 64-112, 96.
240 Sándor Gyömrei, A kereskedelmi tőke kialakulása és szerepe Pest-Budán
1849-ig [Die Handelskapitalbildung und die Rolle Pest-Budas bis 1849], in:
TBM 12 (1957), 197-278, 224-225.
241 Gyula Vargha, A magyar hitelügy és hitelintézetek története [Geschichte
des ungarischen Kreditwesens und der Kreditinstitute], Budapest 1896, 221.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513