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326 Die Monarchie als Wirtschaftsraum
konservieren, so verweigerte die Krone den Reformgesetzen des Land-
tags von 1836 die königliche Sanktion.
Anglophile Reformer im ungarischen Adel wie Graf István Széche-
nyi hatten die Zeichen der Zeit verstanden. Schon 1825 hatte Széche-
nyi die Etablierung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
angeregt und war auf dem Landtag für die Förderung der ungarischen
Kultur eingetreten, zudem betätigte er sich als Gründer einer Dampf-
mühle, einer Schiffswerft sowie einer Maschinenfabrik, initiierte den
Aufbau des ungarischen Eisenbahnnetzes und die Errichtung der Ket-
tenbrücke, die Buda und Pest verband.245 In seinem großen Werk über
den Kredit von 1830 forderte Széchenyi den ungarischen Adel auf, vor
der eigenen Tür zu kehren: Nicht das von Wien dirigierte Zollsystem
sei schuld an Ungarns Misere, sondern die Steuerfreiheit der Adeligen
und die Unveräußerlichkeit des adeligen Grundbesitzes, es gelte die
Gutsländereien als Pfandhypothek einsetzbar zu machen.246 Metter-
nich wusste Széchenyis Talent nicht zu nutzen, er hielt ihn für einen
Fantasten (»Waghals«) und hat ihn regelmäßig düpiert.247
245 Gróf Széchenyi István Naplói [Tagebücher des Grafen István Széchenyi],
hg. v. Gyula Viszota, 6 Bde., Budapest 1925-1939, Bd. IV, 703; Petition gg.
Lehrbuchkontrolle ebda., Bd. II, 41.
246 Klassisch Béla Iványi-Grünwald, Széchenyi magánhitelügyi koncep-
ciójának szel- lemi és gazdasági előzményei és következményei a rendi
Magyarországon 1790-1848 [Geistige sowie wirtschaftliche Vorläufer und
Folgen der Konzeption von Széchenyi über den Privatkreditverkehr im
ständischen Ungarn 1790-1848], Pécs 1927; Sándor Hités (Hg.), Jólét és
erény. Tanulmányok Széchenyi István »Hitel« című művéről [Tugend und
Wohlstand. Studien zu István Széchenyis »Kredit«], Budapest 2014.
247 »Metternich sagt, daß die hungarische Verfassung den unendlich grossen
Fehler hat, daß der König zu beschränkt ist. – Aus Allem sieht man den
Absolutismus hervorgucken«, Eintrag v. 13. 2. 1826, Gróf Széchenyi Ist-
ván Naplói, Bd. III, 18-19. Metternich bezeichnet Széchenyi als waghal-
sigen »schwirrenden Geist«, der zur Klasse »gutmütiger Narren« gehört:
»Alle Menschen der Art lieben das Representatif System wie Raufbolde
die Schenkstuben«, Naplói, Bd. II, Anhang, 7. 11. 1825. Über Széchenyi an
Kaiser Franz: »Ich werden den Gr S […] nicht aufblasen […] er dient uns
immindesten als ein Wärme-Messer. Er zeigt die Temperatur der Masse, die
ihn umgibt«, ebda, 10.12.1825. Aus einem Gespräch mit Metternich proto-
kolliert Széchenyi: »Nation, Nation, Was ist das? Staat ist alles!« Naplói,
Bd. V, 30. 4. 1839, 274. Vgl. auch Széchenyis Kritik am Metternich’schen
»Absolutismus«, der »durch allmählige Zentralisation und Entnationalisie-
rung ein allgemeines Amalgam« zu schaffen bestrebt sei, 17. 7. 1843, zit. n.
Gyula Viszota (Hg.), Gróf Széchenyi István irói és hírlapi vitája Kossuth
Lajossal (Fontes historiae Hungaricae aevi recentioris. Gróf Széchenyi
István összes munkái 6) [Graf István Széchenyis schriftstellerische und
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513