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327Ungarn
in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik
Grillparzers Bonmot auf Metternich als »Don Quihotte der
Legitimität«248, als trauriger Schelm, der letztlich seinen eigenen Lebens-
lügen auf den Leim ging, mag dem Staatskanzler nicht gerecht werden,
seine Ungarnpolitik erfasst es recht gut. Der magyarische Nationa-
lismus galt Metternich als Menetekel: Er führe unausweichlich zur
Unterdrückung der anderssprachigen Einwohner des Königreichs.249
Zugleich erkannte Metternich sehr gut, dass die Erneuerung der Ver-
fassung, welche die liberale Reformbewegung in Ungarn anstrebte, auf
die Ausweitung der adeligen Privilegien durch einen Prozess der Ver-
bürgerlichung als Magyarisierung hinauslief.250 Metternich zufolge
musste die ungarische Gesellschaft also deshalb ständisch-hierarchisch
gegliedert bleiben, weil sich nur so die alte Verfassung aufrechterhal-
ten ließ, die er als Bastion gegen den »Demokratismus«, »Republika-
nismus« und »Nationalismus« der Komitate schätzte. Damit büßte er
freilich à la longue die Unterstützung des altkonservativen Adels ein,
ohne jene der moderaten Reformer gewinnen zu können.
Während Metternich sich darum bemühte, die alte ungarische Ver-
fassung zu erhalten, begannen die liberalen Smithianer wie Ignaz von
Chorinsky und Kübeck die Territorialökonomie zu verabschieden
und das Projekt des imperialen Binnenmarkts als Vehikel für die Ge-
samtstaatsintegration zu benützen.251 Die erbländische Kritik an den
journalistische Auseinandersetzungen mit Lajos Kossuth], 2 Bde., Budapest
1927-1930, I, 735-743, 743.
248 Franz Grillparzer, Grabinschrift [1839], in: ders., Sämtliche Werke, hg.
Frank u. Pörnbacher, Bd. I, 437. Die Formulierung stammt von Heinrich
Heine, bei ihm ist sie auf Chateaubriand gemünzt. Sie findet sich in Heines
»Französischen Zuständen«, die erstmals 1831 /32 in der »Augsburger All-
gemeinen Zeitung« erschienen.
249 Vgl. Metternichs Votum v. 19. 10. 1839, in: Gyula Szekfű (Hg.), Iratok a ma-
gyar államnyelv kérdésének történetéhez [Schriften zur Geschichte der Frage
der ungarischen Staatssprache], Budapest 1926, 492; über die verschiedenen
Phasen von Metternichs Einstellung zur ungarischen Verfassung Csáky, Von
der Aufklärung zum Liberalismus, 103, Fn. 34.
250 Vgl. Domokos Kosáry, A Pesti Hírlap nacionalizmusa, 1841–1844 [Der
Nationalismus des »Pesti Hírlap«], in: Sz 77 (1943), 371-414.
251 Rudolf Sieghart, Zolltrennung und Zolleinheit. Die Geschichte der öster-
reichisch-ungarischen Zwischenzoll-Linie, Wien 1915, 52-53 (Hofrat Franz
von Krieg); Hans Kroczek, Zur Geschichte der Saalforste und der Salinen-
konventionen, in: MGSL 105 (1965), 259-375, 348. Ebenso argumentierte der
spätere Handelsminister Philipp von Krauß, Erzsébet Fábian-Kiss, Konsti-
tutionelle Modernisierung in der Habsburger-Monarchie: Die neue Regie-
rungsstruktur der Ungarischen Krone im Jahre 1848, in: ZfnRg 24 (2002),
93-111, 109.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513