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411Patriotische
Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation
lor der universale Gesellschaftsvertrag dadurch seine Geltungskraft,
dass er nun überall auf Länderebene in kleinerem Maßstab nachgebaut
wurde, um die Eigenständigkeit des jeweiligen Königreichs oder Her-
zogtums zu begründen.258
Diese Regionalisierung des universalen Urvertrags wurde von den
Landständen im Zuge ihrer Fronde gegen die josephinischen Refor-
men zustande gebracht. Wie angedeutet hatten sich ja die Landstände
in der josephinischen Zeit der naturrechtlichen Souveränitätsbegrün-
dung bedient, und sich dabei auf das Volksmandat als Quelle ihres Re-
präsentationsanspruchs berufen, was ihnen von der Revolution gründ-
lich vergällt wurde. Darauf folgte in den 1790er Jahren die ständische
Einigelung in das adelige Eigentumsrecht und seine Aufwertung als
Grundlage der Herrschaftsteilhabe.259 Aus der Welt schaffen ließ sich
das Modell einer vertragsbasierten Landesverfassung damit aber nicht
mehr.
Das naturrechtliche Modell des Volksmandats der Stände lebte zu-
nächst als polemische Reminiszenz weiter, die gerade dort eingesetzt
wurde, wo es darum ging, den Primat des Privatrechts gegen die Lan-
desverfassungen durchzusetzen. Als die Gesetzgebungskommission in
den 1790er Jahren darüber beriet, ob die Stände bei der Ratifikation
des künftigen ABGB beigezogen werden sollten, war ihr Urteil klipp
und klar: Darauf könne der Monarch getrost verzichten, weil es zwei-
felhaft sei, »in wie weit die Stände des Landes die übrigen Classen des
Volkes zu repräsentiren vermögen«.260
Wenig später wurde Keeß’ und Choteks aufgeklärte Privatisierung
der adeligen Souveränitätsteilhabe zum Baustein des restaurativen
Antiparlamentarismus: Die auf dem Wiener Kongress verabschiedete
Bundesakte des Deutschen Bundes sah in Artikel 13 »landständische
Verfassungen« vor, die in allen Mitgliedstaaten »stattfinden« würden.
Diese Verfassungen dienten der Repräsentation von Berechtigten, deren
Ansprüche – wie Metternichs Sekretär Friedrich von Gentz 1819 bei
der Karlsbader Konferenz ausführte – sich aus der »eigenthümlichen
Stellung der Classen und Corporationen« ergaben, »an denen sie hafte-
ten«. Die »wesentlichen landesherrlichen Rechte«, fügte Gentz hinzu,
258 Kompakt Sándor Pruzsinsky, Természetjog és politika a XVIII. századi Ma-
gyarországon. Batthyány Alajostól Martinovicsig [Naturrecht und Politik
im Ungarn des 18. Jahrhunderts. Von Alois Batthyány zu Martinovics],
Budapest 2001; Reinalter, Aufgeklärter Absolutismus und Revolution, 373.
259 Kap. VI.4.
260 Harrasowsky, Codex Theresianus, V, 6, Fn. 2.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513