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417Patriotische
Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation
deutende neue Facette abgewannen.273 In der austroslawistischen Pu-
blizistik der 1830er und 1840er Jahre wurde das Szenario des Gesell-
schaftsvertrags aus den offiziellen Lehrbüchern Martinis und Eggers
beibehalten, aber die im Staat schutzwürdigen »angeborenen Rechte«
auf die Entfaltung der Sprache und Kultur aller Bürger ausgedehnt.274
Während die Rechtshistoriker die Idealzustände des Naturrechts
in die Geschichten ihrer altehrwürdigen Länder einbauten und seine
materialrechtlichen Garantien aus eben diesen Geschichten abzu-
leiten verstanden, mehrten sich in den juristischen Zeitschriften der
1830er und 1840er Jahre kritische Stimmen gegen die »exegetische
Methode.« Diese Autoren rekrutierten sich nicht nur aus Anhängern
der historischen Schulen, nicht minder wortgewaltig waren die jung-
hegelianischen Juristen. Die Kritik der Junghegelianer an Exegetik,
Vernunft- und Naturrecht weist schon voraus auf die fundamentale
Umgestaltung der Jurisprudenz nach 1848, als die neue pandektisti-
sche, an Friedrich C. von Savigny orientierte österreichische Schule
des Zivilrechts unter der Führung des vormaligen Junghegelianers Jo-
seph Unger ihren Siegeszug antrat. Nach 1848 stellten Joseph Unger
und seine Mitarbeiter die Rechtslehre des Vormärz als naturrechtlich,
unwissenschaftlich und kryptorevolutionär dar, um sich selbst als Ga-
ranten einer gleichermaßen historisch-positiven, antirevolutionären
und modernen Wissenschaft ins rechte Licht zu rücken.
273 Aus der älteren Literatur die quellennahen, jedoch nationalmarxistisch-
affirmativ getönten Beiträge von Miloslav Novák, Austroslavismus,
příspěvek k jeho pojetí v době předbřeznové [Der Austroslawismus, ein
Beitrag zu seiner Konzeption in der Zeit des Vormärz], in: SAP 6 (1956),
26-50; Zdeněk Šamberger, Austroslavismus ve světle snah feudální reakce
(Poznámky k jeho třídnímu charakteru a pojetí) [Der Austroslawismus
im Lichte der Anstrengungen der feudalen Reaktion (Anmerkungen zu
Konzeption und klassenspezifischem Charakter)], in: SHS 16 (1988), 49-81.
Ausgewogenes Gesamtbild in Andreas Moritsch (Hg.), Der Austroslavis-
mus. Ein verfrühtes Konzept zur politischen Neugestaltung Mitteleuropas,
Wien 1996.
274 Valentin Urfus, Český státoprávní program na rozhraní let 1860-1861 a
jeho ideové složky [Das tschechische staatsrechtliche Programm an der
Jahreswende 1860-1861 und seine ideellen Bestandteile], in: PhS 8 (1962),
127-172, 129.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513