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419Die
Naturrechtskritik der Junghegelianer
Hier schwärmt man für das ewige Vernunftrecht und seine hoh-
len, inhaltsleeren, starren Formeln, mit denen man das Leben con-
struiren und reformiren zu können glaubt; dort waltet die juristi-
sche Romantik, die, unbekümmert um alle, – folglich auch um die
Rechtsphilosophen – aus dem Schutt und Dunkel des Mittelalters
das ,gute alte Recht’ ausgräbt und in arger Verkennung der ächten
historischen Rechtsentwicklung dem Gewesenen und Verwesenden
blos weil es war, neue Geltung zugestehen will.278
Während Berger an der »exegetischen« Schule sein Mütchen kühlte,
trat Ignaz Wildner, dessen Lexicon sämmtlicher Worte des ABGB
Berger verrissen hatte, zur Ehrenrettung der etablierten Rechtslehre
an. Die Buchstabengelehrsamkeit, die Berger so hochmütig verwarf,
ergründe, »was der Gesetzgeber gedacht und gewollt hat«279, zugleich
zeige sich schon, dass das ABGB in das bürgerliche Leben des Volks
eingegangen sei, »die Verhältnisse desselben« durchdringe und es »zu
dem Ziele der Humanität hinlenke, das der Gesetzgeber sich in seiner
Weisheit und Güte des Willens hingestellt hat«.280 Die »Conservirung
des bisher im Rechte erbeuteten Guten«, so Wildner, sei »die Trägerin
des Fortschrittes«.281 Berger und andere Junghegelianer wie Moritz
Heyßler unterstellten der »exegetischen Schule« indes, dass sie zur
»bloßen äußeren Hülle« geworden sei, dass sie als evidenzstiftende
Strategie versage (»Kategorienflitter«), weil mithilfe ihrer literalisti-
schen Methode dem Gesetzbuch die verschiedensten philosophischen
Systeme unterlegt werden können. Die Methode der Exegeten sei tau-
tologisch und »mechanisch«282, wie Heyßler in seiner Besprechung
des Natürlichen Privat-Rechts des Prager Professors Georg Norbert
Schnabel spöttelte: »Und so braucht man nur die Walze zu ändern,
und das Räderwerk wird eine andere Melodie leiern.«283
278 Johann Nepomuk Berger, Die Rechtsphilosophie als letzte Entscheidungs-
quelle, 255.
279 Ignaz Wildner von Maithstein, Auch noch ein Wort über den vorhergehen-
den Gegenstand, in: DJ 12 (1844), 275-280, 277.
280 Ignaz Wildner von Maithstein, Lexicon sämmtlicher Worte des österr. allg.
bürgerlichen Gesetzbuches, mit Angabe aller §§., in welchen dieselben ent-
halten sind, in: DJ 11 (1844), 156-162, 159.
281 Ebda., 158.
282 Johann Nepomuk Berger, [Rez. v.] Johann Perthaler, Recht und Geschichte,
Wien 1843, in: ZföRg (1844) 3, 66-79, 67 (»Selbstabnützung und Selbstver-
nichtung«).
283 Moritz Heyßler, [Rez. v.] Georg Norbert Schnabel: Das natürliche Privat-
Recht, Wien 1842, in: ZföRg (1843) 3, 293-314, 307, 341-376.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513