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437Der
Siegeszug der historisch-römischrechtlichen Schule nach 1848
erst allmälig zu einer unabhängigeren Auffassung und freieren Dar-
stellung emporgerungen«.348
Unger und den liberalen Pandektisten war nicht der Rede wert, dass
Zeiller selbst den Vertrag als alienatio einer particula libertatis des Pro-
mittenten an den Promissar aufgefasst und die Bindung des Offerenten
in Analogie an die Übertragung einer Sache konstruiert hatte. Dabei
vermied Zeiller aber ausdrücklich die »abstrakte, philosophische«
Schlussfolgerung, dass die Rücktrittsmöglichkeit vom Versprechen bis
zur Übergabe des gegenständlichen Gutes bestehe, diese »Ansicht« ließ
sich laut Zeiller ja »mit der Sicherheit des Verkehrs und der bürger-
lichen Verhältnisse nicht vereinigen«.349 Auch was die Veräußerungs-
befugnisse und Verkaufsvollmachten angeht, hatte Zeiller das durch
den Gutglaubenserwerb an Fahrnissen begründete Recht zu schützen
versucht,350 was andere Mitglieder der Kodifikationskommission als
zu krasse Begünstigung des favor commercialis beanstandeten.351 Un-
ger schor hier die ABGB-Rechtstechnik über einen Kamm, mit einem
verschleierten Zitat von Eduard Gans, dem wohl bedeutendsten jung-
hegelianischen Juristen, griff er den »Billigkeitsdespotismus«352 des
Gesetzbuches an.
Ungers Schule unterbaute das ABGB also mit einer Reihe neuer,
aus der Savigny’schen Rechtslehre gewonnener Figuren. Das zeigt
sich auch an Ungers Lehre von der juristischen Person. Wie schon
dargestellt, hatte das ABGB Naturrecht und usus modernus in der in
§ 26 statuierten »moralischen Person« vermengt. Dagegen versuchte
Unger, die Unterscheidung zwischen societas – als obligatorisches
Verhältnis unter den Gesellschaftern, das aber kein handlungsfähiges
Rechtssubjekt begründet, im Miteigentum der Gesellschafter steht
und mit dem Wechsel derselben zugrunde geht – und universitas –
als eine ihren Mitgliedern fremde, vermögens-, prozess-, forderungs-
und schuldenfähige Drittperson – auch in das österreichische Recht
hineinzutragen.353 Der Wiener Rechtshistoriker Werner Ogris hat
348 Joseph Unger, Über die legislative Behandlung des wesentlichen Irrthums
bei obligatorischen Verträgen, in: ZPöRG 15 (1888), 673-689, 676, Anm. 8.
349 Vgl. Fn. 183 oben.
350 Ernst Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb: Zum Spannungsverhältnis
von Bestandschutz und Verkehrsinteressen, Wien 2006, 165-166; Franz von
Zeiller, Das natürliche Privat-Recht, 3. Aufl., § 92, 134.
351 Ofner, Ur-Entwurf, I, 251, II, 374.
352 Unger, System, I, 72, Fn. 20 (»wie dieß ein preußischer Schriftsteller geist-
reich bezeichnet hat«). Vgl. Eduard Gans, Beyträge zur Revision der Preu-
ßischen Gesetzgebung, I, Berlin 1830, 12.
353 Unger, System, I, 313-315; Stagl, Rechtsgeschäft.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513