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459Die
Josephiner und die Revolution
Während der 1790er Jahre wiesen Josephiner und Gegenrevolutio-
näre einander Komplotte, geheime Machenschaften und Umsturzpläne
nach,17 Sonnenfels, selbst als prominenter Freimaurer und Ex-Illumi-
nat angegriffen, verteidigte sich in seiner Rektoratsrede an der Wiener
Universität aus dem Jahr 1794.18 Die Aufklärung, so führte Sonnenfels
damals im Festsaal der Universität aus, führe nicht zur Revolution,
das Gegenteil sei der Fall. Auf dem Deckenfresko von 1755, unter
dem Sonnenfels sprach, hatte Gregorio Guglielmi das Haus Habsburg-
Lothringen als Patron der Wissenschaften verherrlicht.19 Die Zeit
konnte der Glorie Habsburgs nichts anhaben: Während Gott Chronos
den Ovalschild mit den Brustbildern Maria Theresias und Franz Ste-
phans in den sonnendurchfluteten Himmel hebt, zerbricht ein Adler
die Sense des Chronos, das Symbol der Vergänglichkeit. 1794 machte
Sonnenfels den Ruhm des Hauses Habsburg von der ewigen Strahl-
kraft der Aufklärung abhängig, die sich ihre eigene Zukunft schuf.
Wenn man die Aufklärung drossle, sei die Revolution das sichere Re-
sultat: »Die heftigste Beschuldigung gegen eine Regierung wäre also
der Vorwurf: die Aufklärung unterdrücken zu wollen.«20 Für Sonnen-
fels und die anderen Spätaufklärer waren die Gleichheit vor dem Ge-
setz und der gesicherte Genuss persönlicher Freiheitsrechte die beste
Vorkehrung gegen den gewaltsamen Umsturz.21 Der Mangel, nicht
das Übermaß an Aufklärung hatte in Frankreich die Revolution aus-
dehnt werde; und dass sie c) das abscheuliche, dem menschlichen Verstand
hohnsprechende Gesetz quod rusticus proprietatis terrae capax non sit, end-
lich abschaffen und die Eigenthumsfähigkeit der unbeweglichen Güter allen
Nicht-Adeligen gestatten mögen« [26.8.1794], in: Benda (Hg.), A magyar
jakobinusok iratai, II, 102.
17 Lettner, Das Rückzugsgefecht der Aufklärung, 158-160, 169-170, 180-182.
18 Sonnenfels, Rede bey dem feyerlichen Antritte, 35-40.
19 Werner Telesko, Die Funktion des neuen Universitätsgebäudes, in: Julia Rü-
diger, Dieter Schweitzer (Hg.), Stätten des Wissens. Die Universität entlang
ihrer Bauten, 1365-2019, Wien 2015, 69-86.
20 Sonnenfels, Handbuch der inneren Staatsverwaltung mit Rücksicht auf die
Umstände und Begriffe der Zeit, Bd. I, Wien 1798, 375. Sonnenfels wirbt
hier für Anerkennung seines Lebenswerks als erfolgreiche Revolutionspro-
phylaxe, XIV-XV: »Ich hatte die Beruhigung zu sehen, wie die Gährung,
worein die Gemüther versetzt zu seyn schienen, in warmes Dankgefühl für
den Regenen und in verstärkte Anhänglichkeit für eine Verfassung überging,
die ihnen unter dem Schilde der Ordnung dasjenige sicherstellte, wonach sie
eine unglückliche Nation unter allen Gräueln der Unordnung und Zerstö-
rung ringen sah. Das war die letzte Pflicht, die ich dem Vaterland als Lehrer
abzutragen suchte.«
21 Sonnenfels, Rede bey dem feyerlichen Antritte, 55-56.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513