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463Die
Josephiner und die Revolution
Ein Jahr nach diesem antiken Herrschervergleich, der Kaiser Franz
den Spiegel vorhielt, brachte Sonnenfels einen Aufsatz in Christoph
Martin Wielands Neuem Teutschen Merkur heraus. Kurz nach der
Jakobinerverschwörung zielte Sonnenfels auf die unter Joseph II. ge-
schaffene Pergen’sche Polizeihofstelle. Von Leopold aufgelöst, war sie
ja unter Franz II. neuerlich eingerichtet worden, dem sie das Material
gegen die sogenannten »Jakobiner« geliefert hatte. Just in den Jah-
ren der Jakobinerprozesse hatte Sonnenfels seinen »Polizeykodex«
vorgelegt, in der er 1795 das Recht jedes unbescholtenen Bürgers auf
Privatheit festhielt: »Der rechtschaffene Mann ist berechtigt, jede For-
schung gegen ihn als unverdiente Kränkung zu empfinden.«29 Seine
Vorbehalte gegen das Spitzelwesen formulierte Sonnenfels nun auch
in seinem »Fragment« aus einer »ungedruckten Staatsschrift« für Wie-
lands Merkur. Hier wies Sonnenfels 1797 nach, dass die Französische
Revolution mitnichten das Werk von Demagogen war, sondern die
natürliche Folge vernachlässigter Wohlfahrt sowie mangelhafter nah-
rungsmäßiger und medizinischer Versorgung bei wachsender Polizei-
präsenz. Immer dreistere Nachstellungen und Wellen willkürlicher
Verhaftungen hätten dann die grassierende Unzufriedenheit in allen
Ständen zum Ausbruch gebracht, die Geheimpolizei habe die Revolu-
tion nicht verhindert, vielmehr sei sie ihre Geburtshelferin gewesen.30
1807 setzte Franz I. seinem Onkel Joseph II. mit dem Reiterstand-
bild vor der Hofbibliothek ein Denkmal, auf dem er die Inschrift an-
bringen lies: SALUTI PUBLICAE VIXIT, NON DIU SET TOTUS,
er habe dem öffentlichen Wohle gelebt, nicht lange, aber ganz und
gar. In der Widmungsinschrift sprach Franz sein Vorbild Joseph als
»zweiten Vater« an, die am Sockel montierten Reliefs hielten fest, was
am josephinischen Vermächtnis denk- und anknüpfenswürdig war. Es
ist ein politisch entschärftes, dekontaminiertes Erbe, das hier verewigt
werden soll: Joseph wird als Schirmherr des Handels und Förderer des
nenfels’ Aufsatz erschien im Nachfolgejournal der Hoffmann’schen Wiener
Zeitschrift, Felix F. Hofstätters antirevolutionärem Magazin für Kunst und
Literatur und wurde dort giftig kommentiert, vgl. [Anonym,] Aufschlüsse
über die Rotte der Vernunftantipoden, ebda., 93-119. Zur Zeitschrift Wyn-
fried Kriegleder, Ein »Hofmann elevatus ad secundam potentiam«. Felix
Franz Hofstätter und das »Magazin für Kunst und Literatur«, in: Albrecht,
Weiß (Hg.), Von »Obscuranten« und »Eudämonisten«, 245-267.
29 Entwurf Polizeykodex Sonnenfels, AVA, Hofkanzlei III A 3 Kart. 310, § 55.
Zu Sonnenfels’ Anteil am Strafgesetzbuch von 1803 vgl. S. 388 oben.
30 Joseph von Sonnenfels, Über die Ursachen der französischen Revolution.
Aus einer ungedruckten Staatsschrift, in: DNTM 3 7 St. (1797), 237-271;
Karstens, Lehrer – Schriftsteller – Staatsreformer, 368.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513