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499Überblick
jenen der newtonianischen Naturforschung, des Kirchenrechts und
der schönen Wissenschaften, deren jeweilige Funktion im Spannungs-
feld zwischen maria-theresianischer Universitäts- und Kirchenreform
dargestellt wird.
Die Analyse der maria-theresianischen Reformen konzentriert sich
auf die Grenzgebilde zwischen Barock und Aufklärung und stellt ih-
ren feinstufigen Aufbau dar. Weder bestand in der Ära Maria Theresias
Einigkeit über den Verlauf der Trennlinie zwischen der Vergangenheit
und der aufgeklärten Gegenwart, noch darüber, was man an die Stelle
des angeblich obsoleten Althergebrachten setzen sollte; eben diese
Konkurrenzverhältnisse wurden von den Zeitgenossen mit funkeln-
dem Witz reflektiert. Diese Präsenz verschiedener Vergangenheiten
der Gelehrsamkeit wurde hier anhand der Scholastiksatire aufgezeigt,
mit der die antiquarischen Historiker und patriotischen Naturforscher
im Prag der 1770er Jahre den neu eingeführten galanten Wissenschaf-
ten zu Leibe rückten.
Dieses Kapitel wirft auch neues Licht auf die allmähliche Entflech-
tung von kirchlicher und staatlicher Autorität in der maria-theresia-
nischen Zeit, durch welche die Kirche ihre Souveränität und ihr Bil-
dungsmonopol einbüßte. Wie hier gezeigt wird, war dieser Vorgang
weder in epistemischer noch in personeller Hinsicht ein Prozess der
»Säkularisierung«. In der Tat war diese Entflechtung vielmehr vom
offensiven Bemühen klerikaler Amtsträger begleitet, die Legitimität
der Kirche als Bastion der Aufklärung und Vermittlungsinstanz staats-
wichtigen Wissens unter Beweis zu stellen. Diese Kampagne für die
Kirche als Bildungsanstalt richtete sich sowohl an die Regierungsbe-
hörden als auch die anderen Religionen der Monarchie, denen sich die
Katholiken eben als Vermittler aufklärerischer sowie dem Staatswohl
zuträglicher Konzepte und Praktiken überlegen fühlten, hier waren
Fortschrittsanspruch und Spätkonfessionalismus miteinander ver-
flochten. Auch auf der epistemischen Ebene wurden solche Nahtstel-
len und markanten Überhänge erkennbar: Die kirchlichen Koryphäen
der Naturforschung perfektionierten zur höheren Ehre Gottes eine
Erkenntnisform, die auf der Einheit, Konstanz und Intelligibilität
des Naturganzen aufbaute. So meinten diese Forscher die Theodi-
zeefunktion der Naturerkenntnis zu untermauern, welche sie zum
Gottesbeweis erhoben und als akribische Beobachtungswissenschaft
betrieben. Damit erreichte die katholische Naturforschung à la longue
das glatte Gegenteil, verbannte sie doch die Final- und Wirkursachen
der Schöpfung aus dem Gebiet des Beweisbaren. Das Programm, das
darauf zielte, die Gotteserkenntnis von der Spekulation abzuschirmen,
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513