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518 Was war Aufklärung?
Schlüsselrolle spielten.13 In diesem Kontext konnte sich die Aufklä-
rung performativ über Muster und Institutionen der Weltbewältigung
stabilisieren. Sie war kein Vehikel eines imperialen Projekts: Nicht das
Empire pfropfte den habsburgischen Ländern die Aufklärung auf, die
Aufklärer formten das Empire. So gestalteten sie seine Herrschaftslo-
gik und sein Wissensregime, seine Rechtskultur und sein Sozialgefü-
ge.14 Die Aufklärer vollbrachten dabei in der Monarchie eine dreifache
Integrationsleistung, die sich in sozialer, epistemischer und räumlicher
Hinsicht vollzog.
Die aufklärerische Geselligkeit schlug über Logen, Sozietäten und
Lesezirkel tiefe Wurzeln in der Lebenspraxis der habsburgischen
Länder. Zugleich nutzten die Aufklärer die Aufstiegschancen, die der
Behördenapparat ihnen, den Söhnen von Patriziern und Seifensiedern,
Kleinbauern und Dorfbäckern, bot. Aus der Aufweichung sozialer
Barrieren leiteten die Aufklärer ihre ständeübergreifende und suprare-
ligiöse Verdienstethik ab. Zugleich krempelten sie die Staatsaufgaben
um: Das »allgemeine Beste« überwölbte alle Untertanen. Das Bürger-
recht mit dem Anspruch auf Grundbesitz, akademische Würden und
freie Berufsausübung sollte nicht mehr vom Bekenntnis zum allein
selig machenden katholischen Glauben des Kaiserhauses abhängen,
sondern von der ständisch und religiös neutralen Staatsangehörigkeit.
Diese Tendenz lässt sich auch am Franziszeischen Kataster und am All-
gemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nachweisen: Der Franziszeische
Kataster vermaß und bewertete die Böden der Monarchie, so lieferte
er das Fundament für die gleiche Besteuerung adeligen und bäuerli-
chen Landes: Auf diese Art sollten an die 50 Millionen Grundstücke
13 Judson, Habsburg; Franz L. Fillafer, Die imperiale Dialektik von Staatsbil-
dung und Nationsgenese. Eine Glosse über Nutzen und Nachteil der Em-
pireforschung für die Habsburgermonarchie, in: Thomas Wallnig, Tobias
Heinrich (Hg.), Vergnügen / Pleasure / Plaisir [Das achtzehnte Jahrhundert
und Österreich 33], Bochum 2018, 179-194. Über die merkwürdigen Dialog-
blockaden zwischen den Spezialistentümern der florierenden »new imperial
history« und der Aufklärungsforschung, die innerfachlichen und nationalen
Barrieren geschuldet sind, vgl. Thomas Wallnig, Enlightenment – Empire:
A difficult pairing, viewed from a Habsburg angle, in: Lise Andries, Marc
André Bernier (Hg.), L’Avenir des Lumières/ The Future of Enlightenment,
Paris 2019, 235-252.
14 Sehr anregend jüngst Wolfgang Göderle u. Thomas Wallnig, Nutzen und
Grenzen des Forschungsparadigmas »Katholische Aufklärung«: Herrschafts-
logik und sozialer Wandel am Vorabend der Moderne im Habsburgerreich,
in: Jürgen Overhoff, Andreas Oberdorf (Hg.), Katholische Aufklärung in
Europa und Nordamerika, Göttingen 2019, 52-76.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513