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4.2. Hanslick als Feindbild: Bell, Schenker und die ‚New Musicology‘
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die objektive Erkenntnis von musikalischer Schönheit ausgerichtet ist und die
sich also auf das Kunstwerk, nicht seine subjektive Erkenntnis konzentriert,
widerspricht elementaren Grundsätzen von Kants Kritik. Die im englischen
Sprachraum gemeinhin vertretene Hypothese, dass Hanslick seine objektive
Methodik aus der formalen Tradition der Kant’schen Urteilskritik erarbeitet,
übersieht folglich wichtige Eckpfeiler von Hanslicks VMS-Traktat, welche sei-
nem vermeintlichen Wegbereiter entgegenstehen. Wenn von mir ein Einfluss
von Kants Kritik der Urteilskraft auf Hanslick keineswegs dementiert wurde,994
scheint dennoch erwiesen, dass Kivys These: „I do not think there can be any
doubt that Hanslick was greatly influenced by Kant’s philosophy of beauty“
mit erhöhter Vorsicht gelesen werden müsste, da sie auf unsicheren Annahmen
beruht, deren direkte Folgen nun genauer erläutert werden.
4.2. Hanslick als Feindbild: Bell, Schenker und die ‚New
Musicology‘995
Wenn Kant im englischen Sprachraum als Vorläufer Hanslicks und Gurneys
Power of Sound als zeitnahes Gegenstück gilt, fand sich sein geeigneter Nach-
folger im Kunstkritiker Clive Bell, dessen theoretische Abhandlung Art (1914)
das „Gründungsdokument des angelsächsischen Formalismus“ sei.996 Schon
diese kurze historische Einschätzung verdeutlicht, dass hier eine ähnliche
Methodik schlagend geworden ist wie im Falle Kants: Die auch hier nicht
näher spezifizierte Klassifikation ‚des‘ ästhetischen Formalismus sorgt dafür,
dass eine historische Verbindung von Hanslick und Bell bejaht werden konn-
te, die das geläufige Narrativ ihrer theoretischen Ähnlichkeiten als evidente
merkmale implizierte, wenn Kunst nicht bloßer ‚Genuß‘, sondern ‚Kultur‘ sein sollte,
wurde reduziert auf das ästhetische Urteil, das ethische und praktische Momente von der
Erkenntnis des ‚Schönen an sich‘ ausschloß.“ Romantische Musikästhetik (wie Anm. 446),
S. 232.
994 Zu Hanslicks Rekursen auf theoretische Bestandteile der kantianischen Ästhetiktradition
siehe vor allem: Wilfing, „Hanslick’s Kantianism?“ (wie Anm. 107).
995 Der Maler Roger Fry, der zur Zeit Bells eine formale Ästhetik vorlegt, wird hier aus
pragmatischen Beweggründen ausgeklammert. Für mehrere mögliche Parallelen Hans-
licks zu Walter Pater, die aus den gleichen Motiven nicht detailliert behandelt werden,
siehe etwa auch: Kivy, Philosophies of Arts: An Essay in Differences, Cambridge 1997, S.Â
97f.;
Bullock, „Lessons in Sensibility“ (wie Anm. 351), S. 308f.; Bonds, Absolute Music (wie
Anm. 31), S. 271–273.
996 Kutschera, Ästhetik (wie Anm. 724), S. 172. Vgl.: Noël Carroll, „Formalism“, in Gaut/
Lopes, Routledge Aesthetics (wie Anm. 384), S. 87–96, hier S. 87; Alex Neill, „Art and
Emotion“, in Levinson, Handbook of Aesthetics (wie Anm. 384), S. 421–435, hier S. 423;
Susan L. Feagin, „Roger Fry (1866–1934) and Clive Bell (1881–1964)“, in Giovannelli,
Aesthetics (wie Anm. 928), S. 113–125, hier S. 113.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423