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Die Alpen als Grenze 63
Topos hielt sich hartnäckig, obwohl Rom schon in vorchristlicher Zeit von Kelten,
Kimbern und nicht zuletzt dem punischen Feldherrn Hannibal angegriffen wurde,
die alle von den Alpen nicht im Geringsten abgehalten wurden.3 Es ist bemerkens-
wert, dass die „Mauern Italiens“ oder der „Sperrriegel Alpen“ fast immer in einem
Kontext genannt werden, in dem die Alpen von Feinden überwunden werden.
Meistens ist von Hannibal die Rede, der durch seine Alpenquerung die römischen
Literaten nachhaltig beeindruckt hatte. Die Worte claustra und munimen werden
genutzt, wenn die Schutzfunktion der Alpen beschrieben werden sollte. In späte-
rer Zeit setzte sich claustra durch, wohl, weil dieses Wort mit seinen zusätzlichen
Bedeutungen als „Pass“, „Grenz(feste)“ aber auch „Durchgang“ den Verhältnissen
der Alpen besser gerecht wurde.4
Die Entwicklung dieses Bildes lässt sich aus dem Eindruck der Alpen von der
größtenteils nur etwa 150 m über dem Meeresspiegel liegenden Poebene aus erklä-
ren.5 Die ersten über 3.000 m hohen Gipfel liegen nur wenige Kilometer Luftlinie
von der völlig flachen Ebene entfernt. Schon die ersten Hügel ragen steil aus der
Fläche heraus und bilden eine durchgehende Linie. Bereits Livius beschreibt diese
Eigenschaft der Alpen : „[…] pleraque Alpium ab Italia sicut breviora ita arrectiora
sunt“6, sie sind also aufgrund ihrer kürzeren Ausdehnung steiler. Der Kontrast mit
der flachen, niedrigen Poebene sowie die hohen Gipfel der südlichen Alpen erwe-
cken also den Eindruck der moenia italiae.
Abbildung 5 zeigt den Blick von Turin auf den 55 km Luftlinie entfernten und
3.841 m hohen Monviso. Zwischen Gebirgsfuß und Gipfel liegen nur rund 14 km
Luftlinie. Der etwas nördlich gelegene, über 4.000 m hohe Gran Paradiso befin-
det sich lediglich etwa 25 km und der zweithöchste Gebirgsstock der Alpen, der
4.634 m hohe Monte Rosa bloß 35 km von der Poebene entfernt. Ganz abgese-
hen davon, dass vielleicht auch die nördlich der Alpen lebenden Menschen einen
entsprechenden Gebirgs-Topos gehabt hatten, der nicht überliefert wurde, zeigen
sich die Alpen von Norden von einer weitaus weniger schroffen Seite. Die ersten
wirklich hohen Berge sind in der Regel von Norden aus nicht sichtbar. Sind sie es
doch, so liegt der Standpunkt des Betrachters um mindestens 400 m höher als auf
3 Walser, Studien zur Alpengeschichte in antiker Zeit 9.
4 Acolat, Montagne 31. Schon Tacitus benutzte das Wort „claustra“ auch im Sinne einer Grenzfestung
bzw. eines Passes oder auch Zuganges (Annales II, 61 ; Historae 1.6, 2.82 ; 3.2 ; 3.43). Noch Isidor ver-
wendet allerdings das Wort „Mauern“ : Isidor Etym. XIV 8.18 : „Nam Gallorum lingua ,alpes‘ montes
alti vocantur. Haec sunt enim quae Italiae murorum exhibent vicem“.
5 Walser Studien zur Alpengeschichte in antiker Zeit 9. Mailand liegt auf etwa 120 m, Turin auf 240 m
und der Gardasee gar nur auf 65 m Meereshöhe.
6 Livius XXI 35.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361