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70 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Es besteht also ein Gegensatz zwischen den oft besungenen alpinen Sperrmau-
ern und der Realität. Die Alpen sind gerade für kleinere Plünderungsgruppen leicht
zu überwinden. Die zahlreichen Möglichkeiten der Überschreitung machen Befes-
tigungen nur punktuell sinnvoll, nämlich dort, wo die Räume am reichsten und
deshalb am gefährdetsten sind und wo die Übergänge gut ausgebaut und deshalb
auch für größere Heere leicht nutzbar sind. Grundsätzlich hatten die Römer auch
gar kein Interesse daran, Binnengrenzen systematisch mit Verteidigungsbauten zu
befestigen.45 Im Fall des Hrušica waren die Gebiete beiderseits des Passes im Besitz
des Imperiums und später des gotischen Reiches. Genauso verhält es sich mit den
alpinen Gebieten Noricums und Rätiens. Der Bau einer durchgehenden Verteidi-
gungsanlage hätte daher wie eine Abtrennung des auf der anderen Seite gelegenen
Reichsteiles gewirkt. Die bekannten, großen Abwehrmauern der Römer befanden
sich dementsprechend immer an der Grenze zu barbarischem Territorium.46
Ein zeitgenössischer Beobachter wie Ambrosius klagte Ende des 4. Jh. darü-
ber, dass die Alpen nicht ausreichend befestigt wären : Eine feindliche Bedrohung
könne nur durch die Barriere der Alpen abgehalten werden. Doch die einzige
Befestigung sei lediglich aus Holz.47 Als Theoderich 489 wiederum diesen Weg
nützte, um nach Italien gegen Odoaker zu ziehen, stand der Übergang ad Pirum
ebenfalls offen, zumindest sind hier keine Kampfhandlungen überliefert. Die
Grenze des Italischen Reiches war damals der Isonzo.48 Erst als die Langobarden
Oberitalien erobert hatten, wurde der Raum tatsächlich zu einer Grenze und als
solche befestigt.49
Auch in den Westalpen wurden die Grenzen des Imperiums nur langsam zu-
rückgenommen. Ganz aufgegeben wurden die byzantinischen Ansprüche auf die
Gebiete des einstigen Römischen Imperiums ja ohnehin erst viel später. Prokopios
schreibt, dass Gallien diesseits der Rhône kaiserlich war, solange es den (west-)
römischen Staat gegeben hatte, also bis zum Ende des 5. Jh.50 Erst durch Odoaker
barbarus ignotas invaderet inscius Alpes. Nunc vero geminis clades repetita tyrannis famosum vulga-
vit iter : nec nota fefellit semita praestructum bellis civilibus hostem. Per solitas venere vias, aditusque
sequendos barbarico romana dedit discordia bello.“ ; Wolfram, Goten 151.
45 Napoli, Recherches 110.
46 Ebd. 283. Überhaupt sahen die Römer ihr Reich gerne als „grenzenlos“ an. Goetz, Concepts of realm
82.
47 Ambrosius De Excessu Fratris Satyri I 7. Er erwähnt aber weder den Feind noch den Ort des dro-
henden Einfalles. Napoli, Recherches, ordnet dies den Angriffen der Sarmaten und Quaden in das
Jahr 375 zu, damit wäre der erwähnte Übergang der Hrušica.
48 Wolfram, Die Goten 280.
49 Mayer, Die Alpen als Staatsgrenze und Völkerbrücke 9.
50 Prokopios Bell. Got. I (V) 12.20 ed. Dewing 122.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361