Page - 80 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Image of the Page - 80 -
Text of the Page - 80 -
80 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
Auch im breonischen Inntal lebte wohl noch lange Zeit die spätrömische Or-
ganisationsstruktur weiter, die nur punktuell von der Ansiedlung von Militär aus
den fränkisch dominierten nördlichen Nachbarregionen berührt wurde.105 Die Zu-
gänge über den Brenner waren spätestens Ende des 7. Jh. in bairischer Hand. Dies
zeigt unter anderem die Vita des heiligen Corbinian des Arbeo von Freising. Die
Diener der Herzogs sollten den Heiligen „a finibus Valerie atque Noricensis Cisal-
pina in caput Italie“ begleiten. Das Valeria in diesem Text kommt völlig unerwartet
und ist auch sonst nicht bezeugt.106 Was außerdem auffällt, ist die Bezeichnung der
Grenzen des transalpinen Noricums. Das Gebirge scheint kein eindeutiger Teil
eines Herrschaftsraumes zu sein, sondern bis weit in das 8. Jh. hinein ein breiter,
bewachter Grenzstreifen zwischen den Reichen.107
In den Ostalpen lösten sich die slawischen Anführer (mit einer unbekannten
Größe an einheimischer Unterstützung) vermutlich schon im ersten Drittel des
7. Jh. vom awarischen Reich los. Die Zugehörigkeit zum slawischen Herrschafts-
gebiet des fränkischen Kaufmanns Samo (mit Zentrum vermutlich in Mähren) ist
umstritten. Die Slawen scheinen gegenüber den Awaren im 7. Jh. ihre Unabhän-
gigkeit behauptet zu haben. Denn Ende des 7., spätestens Anfang des 8. Jh. war
der polyethnische Verband unter slawischer Führung immerhin so eigenständig
geworden, dass er unter einem eigenen Namen – Karantanen – auftreten konnte.
Mitte des 8. Jh. konnte der bairische Herzog dieses slawische Reich in den südli-
chen Ostalpen in seine Abhängigkeit bringen.108
Eines kristallisierte sich im 6. und 7. Jh. heraus : Die Alpen, lange Zeit ganz
innerhalb eines einzigen Imperiums gelegen, lagen nun im Schnittpunkt der gro-
ßen Reiche Mitteleuropas. Die Grenzen, die sich in den Alpen Ende des 6. Jh.
gebildet hatten, erwiesen sich zwar im Groben als relativ stabil, doch die Grenz-
zonen selbst blieben breit und variabel. Plünderungszüge in benachbarte Länder
105 Heitmeier, Inntal 263.
106 Arbeo von Freising, Vita Corbiniani c. 15 ed. Glaser/Brunhölzl 109 f.; Wolfram, Salzburg, Bayern
Österreich 69 ; Jahn, Ducatus Baivariorum 71 ; Pohl, Awaren 309 ; ausführlicher aber nicht überzeu-
gend Vogel, Vom Werden eines Heiligen 344. Zu der Erklärungsmöglichkeit von Valeria als „Ort, wo
Walchen (= Romanen) wohnen“ siehe S. 134 und S. 314.
107 Analog dazu könnte man auch Paulus Diaconus Hist. Lang. III 30 interpretieren : Zuerst zieht der
König Authari von den Grenzen Noricums weg („[…] deque Noricorum finibus festinanter absce-
dunt.“) und kommt danach erst zu den „Italiae fines“. Dazu auch Paulus Diaconus Hist. Lang. II 15
(s. o.) Heitmeier, Inntal 316 ff. und 320 nimmt gerade wegen der oben zitierten Stelle bei Corbinian
eine bairische Übernahme von Teilen des Inntales und Reschen erst im 8. Jh. an.
108 Wolfram, Grenzen und Räume 301 f.; Gleirscher, Karantanien 24. Genaueres zu der Geschichte der
Karantanen im Kapitel „Der Ostalpenraum : von Binnennoricum zu Karantanien“ ab S. 319.
back to the
book Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361