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84 Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen
In karolingischer Zeit erwähnt die divisio regnorum von 806 ausdrücklich und
sehr genau die einzelnen, wichtigen Übergänge und die Talschaften, die zu dem
jeweiligen Pass führen. Diese werden je einem Sohn – Ludwig, Pippin und Karl –
zugesprochen. Die Landschaften außerhalb der Übergänge werden nicht erwähnt,
außer die Gegend per terminos Italicorum montium usque ad mare.127 Hier diente ein
nur vage beschriebener Teil des Gebirges ausdrücklich als Grenze. Im Vertrag von
Verdun 843, als sich die Nachkommen Karls das Reich erneut aufteilten, waren die
Pässe der Alpen kein Thema mehr.
Die lokalen Grenzen in den Alpen lagen im frühen Mittelalter (und später)
an den Talausgängen der wichtigen Pässe, im Gegensatz zu den modernen, die
eher auf den Passhöhen liegen. Die gesamten Passregionen der Westalpen waren
demzufolge in den ersten Jahrhunderten eigene territoriale Einheiten, nämlich die
Alpes poeniae, cottiae und maritimae. Die Bündner Pässe sowie die Reschen- und
Brennerroute gehörten zu den römischen Provinzen Raetia I und II, die durch die
Städte und das Flachland hinter den Alpen Richtung Donau und Rhein definiert
wurden. Dies änderte sich erst im 6. Jh., als beide Provinzen ihre Grenzen bis zum
Alpenrand zurücknehmen mussten und damit auf das Gebirgsterritorium um diese
Pässe herum reduziert wurden. Die Grenzen lagen nun nördlich wie südlich punk-
tuell an den Ausgängen der großen Täler, entlang der maßgeblichen Handels- und
Kommunikationsrouten. Die Festungen an den südlichen Alpenausgängen waren
äußerst umkämpft. In römischer Zeit war die Grenze der Raetia I noch vor der
Festung gelegen, doch spätestens 590 war die Burg in langobardischer Hand.128
Die Festung Bellinzona bei Susa war noch lange nach der Eroberungen Italiens
durch die Langobarden Sitz eines byzantinischen magister militum.129 Ab dem spä-
ten 6. Jh. gehörte dann das Aostattal südlich des großen St. Bernhard genauso wie
das Susa tal zum fränkisch-burgundischen Reich.
Dass auf den Pässen selbst keine Festungen errichtet wurden, hängt mit klimati-
schen und topografischen Schwierigkeiten zusammen sowie mit dem Desinteresse
gegenüber dem Hochgebirge. Eine Befestigung am Talboden konnte leicht das
siert und durchgehend in Besitzungen aufgeteilt war wie die Räume des Flachlandes. Dies zeigen
zahlreiche Quellen, etwa das Testament des Abbo (Geary, Aristocracy in Provence ; Jourdain-An-
nequin (Hg.), Atlas culturel (G. Barruol, H. Falque-Vert) 248) in den Westalpen, die Besitzungen der
Churrätischen Kirche (Kaiser, Churrätien 208 ff.) oder auch die Schenkung des Romanen Quartinus
um 827/28 im Raum des heutigen Tirol und Südtirol (Wolfram, Grenzen und Räume 298 ; Trad.
Freis. Nr. 550 S. 471) siehe dazu auch unten die entsprechenden Kapitel in „Lokale Macht und
Herrschaft in den Alpen“ ab S. 299.
127 MGH Capit. I Nr. 45, S.126 ff. Diese Aufteilung kam so nie zustande.
128 Kaiser, Churrätien 35 f.
129 Paulus Diaconus Hist. Lang. III 9 ; Gregor von Tours Hist. IV 44.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361