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Wahl des Passes und der Jahreszeit 123
windbaren Alpen. In den antiken Quellen herrschte in den Alpen immer Winter.37
Dieser Ruf war wegen Schneestürmen, Lawinen und eisigen Temperaturen zumin-
dest in den Wintermonaten sicher nicht unbegründet. Allerdings bot der Winter
auch unbestreitbare Vorteile für den Verkehr. In den Tälern der Alpen herrschte im
Sommer verkehrshemmender Sumpf, der im Winter gefror und dadurch begehbar
wurde. Die Vegetation in den sumpfigen Niederungen ist im Herbst und Winter
wesentlich ausgedünnt und vereinfacht das Fortkommen. Auch die Querung von
Flüssen und Bächen ist günstiger im Winter, da sie weniger Wasser führen oder
sogar zugefroren sind. Schnee kann durch die Nutzung von Schlitten, aber auch
durch die Nivellierung des Bodens sonst unangenehme Pässe leicht überwindbar
machen. Ein verschneiter Boden kann angenehmer zum Gehen oder Reiten sein.
Besonders schwere Güter können bei Schneelage leichter transportiert werden
als im Sommer. Eine überlieferte Technik aus dem 11. Jh. ist die Verwendung von
Fellen, die von den Säumern gezogen wurden.38 Die lokale Bevölkerung nutzte
den Winter für Holz- und Heutransport.39 Diese Leistungen der Säumer im Winter
beeindruckten manchen Reisenden, zum Beispiel Ammianus Marcellinus, der eine
Querung des Montgenèvre beschreibt. Der Weg war mit Pflöcken markiert, trotz-
dem vertrauten die Reisegruppen zusätzlich auf einheimische Führer. Die Wägen
wurden aneinandergebunden und von Ochsen oder starken Männern an einem
Seil den Hang hinabgelassen.40 Am Magdalensberg finden sich Hinweise darauf,
dass um die Zeitwende der Handel auch im Winter stattfand.41
Für winterliche Reisen in den Alpen gibt es für Spätantike und frühes Mittel-
alter einige Belege. Im Frühjahr/Winter 467 ging Sidonius Apollinaris über einen
der Übergänge, die von Lyon zum Lago Maggiore und zum Fluss Ticino führten.
Aufgrund der geografischen Beschreibung kommt hier der von den Römern aus-
gebaute Simplon (2.000 m) oder, weniger wahrscheinlich, der Griespass (2.479m)
infrage. Der Autor erwähnt steile Abhänge, die auf die Schlucht des Gondo weisen
könnten.42 Man würde dies eben wegen der Schlucht für eine eher ungewöhnli-
37 Siehe Kapitel „Wahrnehmung der Alpen“ oben S. 100.
38 Über den Transport von Reisenden auf Tierfellen : „Reginam et alias, quae in obsequio eius erant,
mulieres boum coriis impositas duces itineris conductu preeuntes deorsum trahebant.“ Lampertus
Annales Hersfeldensis a. 1077. Dass Felle auf Schnee eine ausgezeichnete Bremskraft haben, machen
sich ja auch heute noch die Skibergsteiger beim Aufstieg zu nutze.
39 Kaiser, Wasser der Berge 82 f.; Leguay (Hg.), Savoie 29.
40 Ammianus Marcellinus XV 10.4 ; Lampertus, Annales Hersfeldensis a. 1077, deutet eine ähnliche
Einrichtung an : „Equorum alios per machinas quasdam summittebant […]“. Siehe auch Kapitel
„Wahrnehmung der Alpen“, S. 104.
41 RGA „Pässe“ (Lippert).
42 Die Schlucht selbst wurde größtenteils oberhalb am Südhang umgangen.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361