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Wahl des Passes und der Jahreszeit 125
in nur 63 Tagen zurückgelegt – in den Monaten November und Dezember.49 Im
beginnenden 12. Jh. schließlich saßen zwei Geistliche im Jänner mit zahlreichen
Mitreisenden tagelang in St. Rhemy/Aostatal fest, da die Witterung keine Querung
der Alpen erlaubte.50 Auch die Winterquerung des Großen St. Bernhard war also
im Mittelalter normal.51 Diese Quellen zeigen deutlich, dass der Winter eine oft ge-
nutzte Reisezeit war, um die Alpen zu überschreiten. Das einzige Hindernis dabei
war schlechtes Wetter, aber nicht die Jahreszeit an sich.
Die wenigen negativen Überlieferungen einer Passage im Winter begegnen uns
im frühen Mittelalter nur in einem Kontext, in dem die Widrigkeiten der Alpen
als Metapher für spirituelle und soziale Vorgänge genutzt werden. Die Menschen
aus Teurnia, die Ende des 5. Jh. über die niederen Tauern gehen, um Bedürftigen
an der Donau Kleiderspenden zu bringen, geraten in einen Schneesturm und kön-
nen nur durch die Hilfe eines Bären ihren Weg gehen.52 Über 500 Jahre später
gerät der Canossagang Heinrichs IV. fast zur Katastrophe, da er und sein Gefolge
über die vereisten Alpen ziehen müssen. In beiden Texten wird die beschwerliche
Winterquerung verwendet, um eine bestimmte hagiografische bzw. erzieherische
Wirkung zu erzielen.53
Möglicherweise gab es Wege, die vor allem im Sommer begangen wurden, und
andere, deren Hauptnutzungszeit im Winter lag. Dabei ist zunächst die Topografie
von Belang, da es beispielsweise bedeutend ist, ob der Weg wegen der Steilheit der
Hänge lawinengefährdet ist. Der Fernverkehr nutzte im Winter lieber die niedri-
geren Pässe, dies kam ab dem hohen Mittelalter dem nur 1.450 m hohen Brenner
zugute.54 Generell wurden im Winter die gut ausgebauten Wege genutzt, da die
deutlich kühleren Temperaturen und die mögliche Unterbrechung der Reise aus
Witterungsgründen eine ausreichende Versorgung mit Unterkünften und Lebens-
49 Thangmari Vita Bernwardi MGH SS 4, S. 767. Die Quelle erzählt dies für das Jahr 1000, ist ver-
mutlich aber wesentlich jünger. Dies ändert aber wenig an der Aussage, dass eine Querung des
Brenners oder Reschen im Winter ohne nennenswerte Probleme bewältigt werden konnte. Die
Reisegeschwindigkeit mit etwa 22 km pro Tag entspricht ja auch den anderen Quellen.
50 Scheffel, Verkehrsgeschichte der Alpen 27 ; Tillier, Le franchigie 12 ff.
51 Bernard, Le Royaume mérovingien 163. Für eine Nutzung nur im Sommer spricht (trotz gegenteiliger
Quellenlage) Mayer, Die Alpen als Staatsgrenze und Völkerbrücke 11.
52 Eugippius, Vita s. Severini c. 29. Diesenberger, Topographie und Gemeinschaft 89 ff. sieht den
Zweck der mühsamen Alpenquerung in der Darstellung der caritas. Siehe Kapitel „Routen durch die
Alpen – Ostalpen“ auf S. 146 zur Wahl ihrer Route.
53 Siehe Kapitel „Wahrnehmung der Alpen“ ab S. 106.
54 Leguay (Hg.), Savoie 46. Im Winter macht die Höhendifferenz von fast 1.000 m zwischen Großen
St. Bernhard und Brenner doch einen deutlichen klimatischen Unterschied. Siehe dazu auch die
Klimatabelle auf S. 48.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361