Page - 127 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Image of the Page - 127 -
Text of the Page - 127 -
Pilgerwege durch die Alpen 127
Die spätantiken und frühmittelalterlichen Pilgerberichte sind meistens eine
bloße Auflistung der Etappenziele, denn die Routen durch Europa und über die
Alpen galten als allgemein bekannt und wurden daher nicht näher erläutert. Aus
dem 6. und 7. Jh. sind von Pilgerinnen und Pilgern einige teils ausführliche Be-
schreibungen des Heiligen Landes und besonders der religiösen Plätze überliefert,
über den Weg dorthin wird aber zumindest für den mitteleuropäischen Teil kaum
etwas verraten. Diese Informationen galten weder als interessant noch als infor-
mativ. 59
Eine weitere Gruppe von Reisenden aus religiösen Gründen machten Mönche
und Nonnen und besonders die Leiter der christlichen Institutionen aus. Erzbi-
schöfe sollten gelegentlich persönlich in Rom vorstellig werden, dies wurde schon
im 10. Jh. fast als Pflicht angesehen. Um diese manchmal sehr weiten Reisen an-
genehmer zu gestalten, halfen sich christliche Einrichtungen gegenseitig. Man
stellte Unterkunft und Verpflegung zu Verfügung. An den Alpenübergängen galt
dies nicht nur für den hohen Klerus sondern auch für die einfachen Pilger und
Pilgerinnen.60
Die tiefgehende Christianisierung der britischen Inseln bewirkte, dass der religi-
öse Reiseverkehr zunächst vor allem aus diesem Raum kam. Die dadurch entstan-
denen Wegrouten waren bedeutsam für die Entwicklung des Christentums in den
durchquerten Alpentälern, beispielsweise in den Westalpen. Der Weg der Pilger
und Pilgerinnen führte ab dem 6. Jh. zunehmend über den Mont Cenis und nicht
mehr über den Montgenèvre. Damit wurde die Maurienne, ein Tal in dem es kaum
römische Funde gibt und das in der Antike nie erwähnt wird, zum Durchgangs-
raum.61 Schon bald entstand im Tal das religiöses Zentrum St. Jean de Maurienne,
das durch seine Gründungslegende die Bedeutung dieser Route für die Walfahrten
unterstreicht : Im 6. Jh. wurde die heilige Tigris, laut ihrer Vita „[…] nobiliter nata
et sacris litteris educata“ und aus dem Tal stammend, von durchziehenden Pilgern
und Pilgerinnen inspiriert, selbst in den Orient zu ziehen. Dort konnte sie Reli-
quien des heiligen Johannes des Täufers erlangen, die sie zurück in ihrer Heimat
der dortigen Kirche stiftete. Als Folge davon wurde 579 das Bistum Maurienne mit
dem Sitz in St. Jean gegründet. Der Weg erlangte so zusätzlich an Bedeutung, da
die Kirche nun selbst zum Ziel des Pilgerverkehrs wurde.62 Die Beliebtheit dieser
59 Etwa in Beda Venerabilis, Kirchengeschichte V 15–17 ; Neiske, Europa 179 ; Siehe dazu auch die
Analyse der Pilgerreisen in McCormick, European Economy 129 ff.
60 Vita sancti Galli I 17 ; Neiske, Europa 178.
61 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 163. (G. Barruol, J. Dupraz).
62 Leguay (Hg.), Savoie 349. Brocard, Le culte des saints en Maurienne 79 ; LexMa „Maurienne“ (V.
Chomel) ; Vita Tigris Virginis Mauriennensis MGH SS rer. Merov. 3, S. 533 f. Übrigens war es nicht
back to the
book Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361