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208 Menschen in den Alpen
feindliche Machtstruktur auszuschalten, um die unterworfene Bevölkerung besser
kontrollieren zu können. So zogen sich die Bischöfe entweder gezwungenerweise
oder vielleicht sogar freiwillig in noch christliche Herrschaftsgebiete zurück.203
In den Gebirgstälern selbst könnten einfache Priester verblieben sein, die ein lo-
kales Christentum pflegten und daher für den Patriarchen kaum Ansprechpartner
waren. Zusätzlich hatten die Slawen des Ostalpenraumes offenbar keine gute Mei-
nung von der höheren Geistlichkeit.204 In den Schichten der Herrschenden war das
Christentum nicht angesehen, was wohl eine zunehmende Verringerung des Stellen-
werts der Kirche auch bei den noch christlichen Resten der Bevölkerung bewirkte.
Gleichzeitig wurden die überlebenden christlichen Traditionen der Bevölkerung
wohl an anderen Orten gepflegt als in den spätantiken christlichen Zentren. Die
antik-städtischen christlichen Repräsentationsbauten waren für die noch gläubigen
Einheimischen zunehmend unbenutzbar geworden, da die Instandhaltung der Ge-
bäude eine christliche Elite erfordert hätte, die in dieser Zeit allgemeiner mate-
rieller Verarmung und mangelnden Know-hows die Erhaltung dieser Gebäude
finan zieren konnte. Mit dem Rückgang der Macht der Kirche verschwanden daher
auch ihre repräsentativen Gebäude. Damit wurden die ohnehin schon dezimierten
Reste der antiken Stadt für die verbliebenen Christen unwichtig. Die Anhänger
der neuen slawisch-awarischen, heidnischen Herrschaft scharten sich um deren
neu errichtete Machtzentren. Die Menschen hingegen, die weiter die spätantik-
christliche Kulturtradition pflegen wollten, zogen in die einstigen Vororte bei den
kleinen Begräbniskirchen und Kapellen der Umgebung, wie etwa bei Teurnia im
Fall von Baldersdorf/Molzbichl zu sehen ist.205
Gelegentlich erfahren wir etwas von überlebenden Christengemeinden im
Reich der Awaren : Am ungarischen Plattensee gab es noch mindestens bis Anfang
des 8. Jh. eine blühende christliche Gemeinde, die unbehelligt von den heidnischen
Herrschern leben konnte. Im dort gelegenen Fenékpuszta wurde sogar eine Kirche
aus dem 6.–7. Jh. ergraben. Auch die kulturellen Beziehungen in den mediterra-
nen Raum blieben bestehen. Erst im 8. Jh. verschwinden die eindeutig christli-
chen Funde und die Ansiedlung wirkt zunehmend isoliert.206 Dennoch konnte das
Christentum im pannonischen Raum weiterbestehen. Denn bei einer Synode an
der Donau des Jahres 796, gehalten anlässlich des Awarenfeldzuges, diskutierten
die dort anwesenden Bischöfe die Frage, ob die angetroffenen Christen denn über-
203 Pohl, Awaren 148.
204 Paulus Diaconus Hist. Lang. V 23.
205 Siehe S. 234 f.
206 Tóth, Das Christentum in Pannonien 257 ff.
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Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361