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240 Menschen in den Alpen
das direkte Umland : Je mehr die direkte Umgebung agrarisch nutzbar war (also
unterhalb einer gewissen Höhe lag), desto besser konnte die Siedlung versorgt
werden.385 Zusätzlich wurden die römischen Städte und bedeutendere Orte immer
entlang der wichtigen Alpentransversalen angelegt (siehe Abbildung A, B und C
am Ende des Buches).
Die Verteilung der römischen Städte in den Alpen zeigt einige Lücken. Die
gro ßen Täler der Westalpen beherbergen gut ausgestattete römische Zentren,
wäh rend im Osten nördlich des Alpenhauptkammes, also sowohl im Inntal als
auch im Enns- und Murtal, keine größeren städtischen Ansiedlungen aus römi-
scher Zeit bekannt sind. Aufgrund mangelnden Raumes wird hier nicht genauer
auf dieses Thema eingegangen, es besteht aber durchaus Erklärungsbedarf, warum
ausgerechnet diese Täler keine größeren Zentralorte, sondern lediglich kleinere
römische Siedlungen vorweisen können. Die Umwelt kann nur bedingt dafür ver-
antwortlich gemacht werden, da etwa das Ennstal bei Liezen oder das Inntal bei
Innsbruck durch die große Menge an landwirtschaftlich nutzbarer Fläche für eine
typisch römische Planstadt durchaus geeignet gewesen wären. Eine mögliche Er-
klärung dafür ist, dass es sich um einen kaiserlichen Bergwerksbezirk gehandelt
haben könnte, der keinen Verwaltungsmittelpunkt brauchte.386
Ab dem 4. Jh. kam es zu einer Krise der antiken Stadt, deren Grund ein kom-
plexes Bündel an Ursachen war. Hier soll nur in aller Kürze darauf eingegangen
werden, um die Rahmenbedingungen der spätantiken Stadtentwicklung in den
Alpen zu veranschaulichen. Im Römischen Reich bildeten die curiales den Stadtrat,
sie waren die landreichste Gruppe des Imperiums. Sie mussten die Abgaben der
civitas – Geld, Waren, Soldaten – an den Staat weiterleiten. Diese Aufgabe konnte
und wollte die Curie in der Spätantike zunehmend nicht mehr erfüllen, hafteten sie
doch auch für die Steuerschulden schon längst verlassener Güter. Die Folge war,
dass sich die curiales vermehrt ihrer Pflichten zu entledigen versuchten und damit
eine Ausdünnung dieser Schicht bewirkt wurde.387 Ein weiteres Problem der spät-
antiken civitates war die zunehmende Landflucht der Großgrundbesitzer. Diese
konnten aufgrund ihres Reichtums ihre Landsitze zu richtiggehenden Burgen aus-
bauen388 und besaßen private Schutztruppen in der Größe von Privatarmeen. Das
bedeutet, dass sich die Mächtigen und Wohlhabenden immer mehr aus dem Stadt-
385 Jourdain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 118 (G. Barruol) ; Zur Anlage der Siedlungen siehe auch das
Kapitel „Siedlung : Lage und Versorgung“ ab S. 262 sowie besonders das Kapitel zum Naturraum
Alpen ab S. 22, in dem die naturräumlichen Bedingungen der Siedlunganlage erläutert werden.
386 Heitmeier, Inntal 152 f. nach der These von Alföldy, Patrimonium Regni Norici.
387 Demandt, Spätantike 375 ff.; Wickham, Framing 167 ; Lebecq, origines franques 27.
388 Lebecq, Les origines franques 24.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361