Page - 241 - in Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Image of the Page - 241 -
Text of the Page - 241 -
Besiedlung 241
leben zurückzogen und dort die Menschen zurückblieben, die kaum mehr die Mit-
tel hatten, um die administrativen Aufgaben und Bauwerke der Stadt erhalten zu
können. In diese Bresche sprang der Bischof. Ab dem 4./5. Jh. war es üblich, dass
jede civitas einen Bischof hatte, der sich auch um administrative und militärische
Angelegenheiten kümmerte.389 Doch auch ein Bischof konnte den zunehmenden
Verfall der Stadt nicht immer verhindern.390
Ein weiteres Problem war die Bündelung von Reichtum in den Städten sowie
deren Lage an den Verkehrsrouten. Dadurch wurde ein Zentralort zum bevorzug-
ten Ziel plündernder Barbaren, Bagauden oder erfolgshungriger römischer Feld-
herren. Als Reaktion darauf wurden viele Städte bzw. die Stadtkerne schon ab dem
3. Jh. ummauert. Alternativ, und wo es das Gelände des Umlandes zuließ, wurde
das Zentrum auf einen nahegelegenen Hügel verlegt. Bei den umgesiedelten admi-
nistrativen Gebäuden handelte es sich in erster Linie um Kirchen und Unterkünfte
für Bischöfe sowie deren Anhang. Auf diese Höhensiedlungen wird im nächsten
Kapitel genauer eingegangen werden. Die Befestigungen zeigen von Ort zu Ort
eine unterschiedliche Entwicklung. Der Bau konnte als vorsorgliche und lang ge-
plante Sicherheitsmaßnahme in Angriff genommen werden oder aber eine direkte
Reaktion auf eine akute Bedrohung sein. Anstoß des Mauerbaus konnten eine
Baukampagne oder ein Befehl des Kaisers sein, manchmal war es aber auch eine
Privatinitiative von Stadtbewohnern und -bewohnerinnen. Vor allem im 3. und
4. Jh. wurden Städte, aber auch manche Dörfer, hastig ummauert (s. u.). Das Buch
„De Aedificiis“ des Prokopios zeugt von einer staatlichen überregionalen Baukam-
pagne Kaiser Justinians in der Mitte des 6. Jh. Die Mauer wurde in der Folge zu
einem der wichtigsten Merkmale einer Stadt, die zusätzlich als Symbol für die hier
herrschende Macht fungierte.391
Mit der wachsenden Wehrhaftigkeit der Stadt kam eine zunehmende Selbst-
versorgung innerhalb der ummauerten Flächen auf. In zahlreichen spätantiken
Festungsanlagen fanden sich größere, unbebaute Flächen, die Äcker oder Weide-
fläche für das Vieh gewesen sein könnten.392 Hausgärten galten als zusätzliche
Versorgung für die städtische Bevölkerung.393 Prokopius erwähnt, dass anlässlich
der Belagerung Roms durch den Goten Totila innerhalb der Stadtmauern Getreide
389 Kaiser 66 ff.; Wickham, Framing 596.
390 Siehe das Kapitel „Lokale christliche Topografie im Wandel“ oben ab S. 193.
391 Loseby, Decline and Change 76 ff.; Demandt, Spätantike 369 ; Für den italienischen Raum : Marazzi,
The destinies of the Late Antique Italies 145 ; Arthur, From vicus to village 112.
392 Ciglenčki, Höhenbefestigungen 115 ; Curta, The making of the Slavs 168. Alternativ könnten sie
auch als Lagerplatz für Truppen gedient haben.
393 Drexhage (Hg.), Wirtschaft 69 ; Wickham, Early Medieval Italy 82.
back to the
book Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361