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244 Menschen in den Alpen
kraft ausstrahlen als die alten Städte. Die aufgegebenen Siedlungsareale dienten
der verbliebenen Bevölkerung oft als Begräbnisstätte.405
Ein gutes Beispiel für die Dynamik, die eine inneralpine Siedlungskammer im
Verlauf von Spätantike zum frühen Mittelalter entwickeln konnte, ist Aguntum im
Raum des heutigen Lienz. Die römische Gründung wurde an einem südseitigen
Schwemmkegel des Debantbaches angelegt, der heute mitten durch die Ausgra-
bungen fließt. Die antike Stadt dürfte vom Handel oder Abbau der Eisen- und
Goldvorkommen in der weiteren Umgebung profitiert haben. Ein Zeichen für den
Reichtum einiger Bewohner und Bewohnerinnen ist das prunkvolle sogenannte
„Atriumhaus“, das bis in die Spätantike benutzt wurde und dabei mehrere Baupha-
sen erlebte. Die Familie, die dieses Haus bewohnt hatte, musste ihre Umgebung
an Reichtum deutlich übertroffen haben. Bemerkenswert ist darüber hinaus die
Langlebigkeit dieses Hauses. Nach mehreren Umbauten dürfte es aufgegeben und
geräumt worden sein, denn es gibt kaum Funde innerhalb der Mauern. In der Spät-
antike wurde der Ostteil durch Mauern vom Rest der Anlage getrennt. Dieser Teil
wurde vielleicht sogar bis in das 16. Jh. genutzt. Die restlichen Mauern verfielen
und wurden von Pflanzen überwuchert. Das Atriumhaus wurde – im Gegensatz
zum Rest der Stadt – offenbar erst in der Neuzeit von Muren überschwemmt.406
Dieser Befund widerspricht der gängigen Forschungsmeinung, wonach Aguntum
406 ganz zerstört und verlassen worden war.407
Parallel zu der Stadt im Tal wurde schon ab dem 3. Jh. der schräg gegenüber-
liegende, etwa 2–3 km entfernte Lavanter Kirchbichl besiedelt. Dieser Ort liegt
strategisch günstig, allerdings schattenseitig (siehe Abbildung 15 auf S. 213 sowie
Abbildung G am Ende des Buches auf S. 358). Die intensive Besiedlung setzt hier
im ausgehenden 3. Jh. ein. Zahlreiche Keramikfragmente aus Produktionsstätten
in Tunesien zeugen von lebhaften Handelsbeziehungen zwischen Noricum und
Nordafrika. Im 4./5. Jh. ist ein Rückgang der Fernhandelsbeziehungen zu verzeich-
nen. Trotzdem ist in der Siedlung auch für die Zeit darüber hinaus bis zum Ende
des 6. Jh. aufgrund der aufwendigen Kirchenbauten ein gewisser Wohlstand anzu-
nehmen.408 Da Venantius Fortunatus die Stadt Mitte des 6. Jh. mit den Worten „in
colle superbit Aguontus“409 beschreibt, weiß man, dass sich das städtische Zentrum
irgendwann im Laufe des 5. und 6. Jh. auf den Hügel verlagert hatte. Hier folgt
405 Marazzi, The destinies of the Late Antique Italies 158 ; Ubl, Bestattungen 164 (für Lauriacum) ;
Teurnia : Gugl, Teurnia 155.
406 Tschurtschenthaler, Mediterraner Luxus im Alpenraum 102 f.
407 So etwa Karwiese, Ager Aguntinus 25 ; Kainrath, Lavant 148.
408 Kainrath, Lavant 147 f.
409 Venantius Fortunatus Vita S. Martini MGH Auct. ant. 4.1, S. 368.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361