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Bevölkerung 287
und der herrschaftlichen Situation des hohen Mittelalters, noch angenommen,
dass die Alpentäler der Zentral- und Ostalpen ab dem 6. Jh. herrschaftsfrei waren
und deshalb „[…] vordringende germanische Völkerschaften zur Eroberung gera-
dezu eingeladen“ 668 hätten, so wird immer deutlicher, dass bei dieser Annahme
wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens war. Archäologisch werden heute
sowohl die ethnische Zuweisung von bestimmten Waffen- und Schmucktypen als
auch die Interpretation der typischen Reihengräberfelder als „germanisch“ stark
angezweifelt und neu interpretiert.669 Für den Alpenraum sind allerdings ohnehin
nur wenige Funde bekannt, die dementsprechend eingeordnet werden könnten.
Aus den historischen Quellen sind zahlreiche kleine Zuzüge bekannt. Von den
durchziehenden, meist plündernden Heeren des 5. bis 8. Jh. könnte durchaus die
eine oder andere Person in den Alpen hängen geblieben sein. Dies zeigt ein kur-
zer Abriss der völkerwanderungszeitlichen Heerzüge durch die Alpen : 428 fielen
Juthungen in Noricum und Rätien ein, ihnen schloss sich zumindest ein Teil der
einheimischen Bevölkerung an. Es handelte sich nun mehr um einen Aufstand als
einen Überfall. Die Rebellion in Noricum und Rätien konnte allerdings in den Jah-
ren 429–431 (noch) vom römischen Heer unter dem Feldherrn Aetius niederge-
schlagen werden.670 Es ist gut möglich, dass von den Juthungen einige im Alpen-
raum blieben. Mitte des 5. Jh. hielten sich Goten eine Zeitlang in Noricum auf, sie
belagerten einige Städte.671 Falls Teile dieser Heere in den Alpen verblieben, sind
sie archäologisch kaum nachzuweisen.672 Die Alemannen wohnten nahe der Alpen,
sie nutzten die Nähe, um beispielsweise Venetien zu plündern.673 Jordanes schreibt
von Suaven und Alemannen, dass diese in den Alpen selbst wohnten, wobei man
hier den Alpenbegriff wohl nicht allzu wörtlich nehmen sollte.674 Ein burgundisches
Heer, vermutlich von den Franken angestiftet, nutzte die Wirren der Gotenkriege,
um die Westalpen zu queren und oberitalienische Städte zu überfallen, ebenso im
Jahr 539 die Franken selbst. Letztere konnten immerhin die Westalpen und Teile
Oberitaliens erobern. Ihre Anwesenheit beschränkte sich nach Abzug des Heeres
668 Zitat Wopfner und Heuberger nach Heitmeier, Inntal 21.
669 Dazu etwa der Band „Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – Archäologie des 4. bis 7. Jahrhun-
derts im Westen“ von S. Brather (Hg.)
670 Šašel, Antiqui Barbari 128 ; Wolfram, Mitteleuropa 36 und 41 ; Gassner (Hg.), Am Rande des Rei-
ches 338.
671 Eugippius, Vita s. Severini c.17 ; Wolfram, Die Goten 478 FN 1.
672 Szameit, Zum archäologischen Bild der frühen Slawen 508.
673 Cassiodor Var. XII, 7. MGH Auct. ant. 12, S. 365 f.
674 Jordanes, Gotengeschichte LV : „quibus Suavis tunc iuncti aderant etiam Alamanni ipsique Alpes
erec tos omnino regentes, unde nonnulla fluenta Danubium influunt nimio cum sonu vergentia.“
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361