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Bevölkerung 289
schen Eroberungen machten es notwendig, dass von allen Teilen des Rei ches Per-
sonal zur Verwaltung und Sicherung in die eroberten Gebiete entsandt wurde.681
Das beste Beispiel dafür ist Churrätien, dessen wichtigste Familie auf einen (ver-
mutlich) fränkischen Ahnherrn zurückgeführt wird.682 Im Inntal deuten die ar-
chäologischen Funde, Urkunden und Ortsnamen rund um Pfaffenhofen auf eine
mächtige Adelssippe, die in merowingischer Zeit diesen strategisch wichtigen Ort
kontrollierte. Ihre Herkunft könnte den Grabfunden nach im alemannisch-bairi-
schen Raum liegen, vielleicht auch weiter westlich davon.683 Vielleicht zeigen diese
Gräber jedoch nur die Anpassung des lokalen Adels an frühmittelalterliche Ge-
gebenheiten. Die bairische Herrschersippe der Agilofinger kam ursprünglich aus
dem fränkischen Raum, sie versippten sich nach der Tradition des Hochadels „in-
ternational“, beispielsweise in das Reich der Langobarden.684 Spätestens in karolin-
gischer Zeit operierte der Adel dann auf paneuropäischer Ebene, dies betraf auch
die Gegenden in und um die Alpen. Das Testament des Grafen Eberhard 863/864
wurde in Musestre/Friaul angefertigt und verteilte an seine Nachkommen Güter
im italischen und alemannischen Raum, aber auch im damals westfränk ischen Ge-
biet des heutigen Belgien.685
Die Kirche baute ebenfalls internationale Netzwerke auf. Anfangs waren das
Geistliche aus dem irischen und fränkischen Raum, die in missionarischem Auftrag
im nördlichen Voralpengebiet tätig waren. Beispiele dafür sind der heilige Gallus,
Columban, Rupert, Emmerich, Corbinian aber auch der Ire Virgil, der sehr wichtig
für die Entwicklung des Salzburger Bistums war.686 Später waren es die voralpinen
Klöster, die in ihre Dependancen im Gebirge gerne Menschen aus dem Mutter-
kloster entsandten. Diese Mönche und Nonnen trugen vermutlich nur wenig zur
Vermehrung der Bevölkerung bei, ihr kultureller Einfluss auf die Einheimischen
ist aber nicht zu unterschätzen. Zusätzlich nutzten die Klöster den Überschuss an
abhängigen Arbeitskräften an einem Ort, um das klösterliche Land weiter entfernt
liegender Neugründungen zu bewirtschaften.
Manchmal machte ein Bevölkerungsschwund nach einer Naturkatastrophe,
Seu chen oder Krieg die Neubesiedlung notwendig. Im Friaul wurden vom Patriar-
chen Aquileias nach den Zerstörungen durch ungarische Plünderungszüge im 10.
und 11. Jh. slawische Siedler aus den Regionen des heutigen Slowenien und Kärn-
681 Schneider, Fränkische Alpenpolitik 42 f.; Heitmeier, Inntal 262 ; Wolfram, Die Goten 314.
682 Kaiser, Churrätien 40.
683 Heitmeier, Inntal 248 ff.
684 Wolfram, Grenzen und Räume 76 f.
685 Krahwinkler, Friaul 262 f.
686 Wolfram, Grenzen und Räume 103 ff.
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Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361