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Die Westalpen : Burgund und Provence 301
Die burgundischen Könige waren von Anfang an bestrebt, einen Ausgleich zwi-
schen den Einwanderern und Alteingesessenen zu schaffen und behielten die tra-
ditionellen Institutionen. Sie bemühten sich auch, als römische Amtsträger aufzu-
treten10, und das Gesetz des Gundobad forcierte um 500 die politische Integration
der Romanen und Burgunder.11 505 wechselte König Sigismund vom arianischen
zum katholischen Glauben und bekräftigte damit diese Tendenzen ; es dürfte aber
zumindest ein Teil der Burgunder schon vorher katholisch gewesen sein. Die über-
lieferten Konflikte im burgundischen Reich geben keinen Hinweis darauf, dass es
gröbere ethnisch motivierte Auseinandersetzungen gegeben hat. „Die Burgunder“
selbst waren alles andere als eine homogene Gruppe und es kam immer wieder zu
Streitfällen innerhalb der Gemeinschaft.12 Diese Diversität der Einwanderer kann
auch durch zwei nahe beieinander gelegene Gräberfelder bei Briord demonstriert
werden. Denn in dem einen Gräberfeld sind die Burgunder nur durch ihre ger-
manischen Namen auf den Grabsteinen zu identifizieren. Alle anderen Zeichen
würden auf Romanen deuten. Das andere hingegen beherbergt Gräber mit einem
ausgesprochen „barbarischen“ Charakter. Warum diese beiden Gräberfelder zur
gleichen Zeit so nahe nebeneinander angelegt wurden, ist nicht klar. Selbst die
Erklärung, es handle sich um eine katholische und eine arianische Gemeinschaft,
scheint nicht überzeugend, da der „barbarische“ und daher eher als arianisch zu
denkende Friedhof bis in das 7. Jh. hinein weitergenutzt wurde, also bis zu einer
Zeit, in der der Arianismus offiziell schon nicht mehr gepflegt wurde. Auch die
noch heute übliche Ortsbezeichnung „St. Maurice“, nach dem katholischen Patron
des burgundischen Königsklosters St. Maurice d’Agaune, spricht gegen diese An-
nahme.13 Es handelte sich also um zwei Untergruppen der burgundischen Ge-
meinschaft, die aus heute unbekannten Gründen ihre Identität nach außen unter-
schiedlich zeigten : die einen eine romanische, die anderen eine barbarische.
Auf eine Zusammenarbeit der römischen Oberschicht mit den neuen Macht-
habern deuten die romanischen Namen auf den höchsten königlichen Posten. Die
weitere Entwicklung der Namenslandschaft zeigt an, dass sich Neuankömmlinge
und Alteingesessene bald vermischten. Im 8. Jh. wurde das Wort „romanisch“ im
Zusammenhang mit der Bevölkerung Burgunds nicht mehr gebraucht. Offenbar
war es also im 5./6. Jh. noch anerkannt, ein „Romane“ zu sein, im 7./8. Jh. je-
doch nicht mehr. Nun war es „moderner“, ein „Burgunder“ zu sein.14 Obwohl die
10 Moyse, La Bourgogne Septentrionale 473 ; Wood, Assimilation von Romanen und Burgundern 233.
11 Plessier, La loi des Burgondes 56.
12 Wood, Assimilation von Romanen und Burgundern 224, 334 ; Kaiser, Burgunder 111 f.
13 Gaillard de Sémainville, Zur Ansiedlung der Burgunden 269 ff.
14 Favrod, Du royaume des Burgondes à la Burgondie 25.
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book Die Alpen im Frühmittelalter - Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800"
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361