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302 Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen
Franken das burgundische Reich 534 erobern konnten, ging der Name für diese
Region nicht verloren. Es hatte sich also offenbar eine Art regionale Identität
entwickelt.15
Als Ausdruck dieser Identität gelten auch bestimmte Grabbeigaben. Besonders
auffällig sind die charakteristischen viereckigen Gürtelschnallen, die in vielen Frau-
engräbern der Region des ehemaligen burgundischen Reiches gefunden wurden.
Sie sind sehr groß (etwa 10 x 7cm), mit christlichen Motiven verziert und treten
erst ab dem Mitte/Ende des 6. bis zum Anfang des 8. Jh. auf. Zu diesem Zeitpunkt
war das Reich der Burgunderkönige schon längst untergegangen. Diese Tracht
scheint eine gemeinsame Selbstwahrnehmung der Bewohner der Region des ehe-
maligen burgundischen Reiches auszudrücken. Sie bildete sich jedoch erst heraus,
als die politische Autonomie nicht mehr gegeben war und es die namengebende
Kultur schon längst nicht mehr gab.16 Auch der Name „Burgundia“ wird erst ab
der Mitte des 6. Jh. nach der Eroberung durch die Franken üblich. Dies hängt viel-
leicht auch damit zusammen, dass sich die Burgunderkönige als Teil des römischen
Systems sahen und ein neuer Name für das Reich einen Bruch bedeutet hätte.17
Die Menschen der Region fühlten sich im 8. Jh. als „Burgunder“ und damit als
Nachfahren der Menschen, die laut der Geschichte im 5. Jh. ehemaliges römisches
Gebiet erobert hatten. Doch wohin waren dann die Römer verschwunden ? Wie
die Menschen des 8. Jh. diese Frage beantworteten, zeigt die radikale Darstellung
der burgundischen Geschichte in der Passio Sigismundi : Die Burgunder hätten bei
ihrer Invasion des Landes alle Römer umgebracht.18
Strukturell hatte sich in den von den Burgundern beherrschten alpinen Gebie-
ten nicht viel geändert. Innerhalb der Alpen gibt es kaum Spuren, die sich den Bur-
gundern zuordnen lassen.19 Bedeutend war die Gründung des Klosters St. Maurice
d’Agaune im Jahr 515 durch den burgundischen König Sigismund. Dieses Kloster
15 Wood, Assimilation von Romanen und Burgundern 235.
16 Diese These hat sich in der Literatur durchgesetzt : Collardelle/Escher, Les Burgondes 82 ff.; Jour-
dain-Annequin (Hg.), Atlas culturel 244 (I. Cowburn) ; Wood, Assimilation von Romanen und Bur-
gundern 235 ; Kaiser, Burgunder 92.
17 Favrod, Du royaume des Burgondes à la Burgondie 23 ; Bernard, Le Royaume mérovingien 147 ;
Kaiser, Burgunder 110.
18 Passio Sigismundi MGH SS rer. Merov. 2, S. 333 : „Qui tempore Valentiniani imperatoris egressi de
ipsis burgis, Gallias petierunt et more barbarico terras vel populous imperialibus dicionibus subiuga-
tas invaserunt, regemque ex suo genere levato nomine Gunduico Romanos Galliarum, quos ab ipso-
rum conspectibus fuga non celavit, gladiatorum manus interfecit ; paucis relictis suis dicionibus sub-
iugatis, ipsique eorum dominationi contempti sunt“ ; Kaiser, Burgunder 111.
19 Zum Problem der ethnischen Zuordnung siehe FN 7 ; Gaillard de Sémainville, Zur Ansiedlung der
Burgunden 241.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361