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Der Ostalpenraum : Von Binnennoricum zu Karantanien 335
„Non multo post“, also nur kurze Zeit nachher, so erzählt die Conversio, wurden
die Karantanen dann von den Awaren bedrängt. Um gegen sie zu bestehen, rief ihr
Fürst Boruth den bairischen Herzog Odilo zu Hilfe, welcher daraufhin mit seinem
Heer die Awaren bezwingen konnten. Gleichzeitig nutzte Odilo die Gelegenheit
und unterwarf die Karantanen und ihre Nachbarn : „Fuitque tunc dux eorum Bo-
ruth nomine, qui Hunorum exercitum contra eos iturum Bagoariis nunciari fecit
rogavitque eos sibi in auxilium venire. Ille quoque festinando venientes expugna-
verunt Hunos et obfirmaverunt Quarantanos servitutique eos regum subiecerunt,
similiterque confines eorum“.209 Dieses Ereignis wird in das Jahr 740 datiert.210
Warum Boruth ausgerechnet Odilo um Hilfe bat und nicht die langobardischen
Nachbarn im Süden, ist nicht ganz klar.211 Der damals herrschende König Ratchis
scheint jedoch mit all seinen Nachbarn keine guten Beziehungen gehabt zu ha-
ben. Die Byzantiner wiederum konnten über diese Distanz wohl keine militärische
Hilfe mehr leisten.
Um den fränkisch-karolingischen Überlegenheitsmythos nicht zu schmälern,
unterschlägt der Text ganz bewusst den Namen von Odilo. Denn dieser bairische
Herzog aus der im Jahr 788 gestürzten Familie der Agilolfinger hätte damit rund
ein halbes Jahrhundert vor dem gefeierten Awarenfeldzug von Karl dem Großen
ebenfalls die Awaren besiegt. Dies sollte wohl ein karolingisches Privileg bleiben.212
Möglicherweise wurden die Karantanen deshalb von der Conversio unabhängiger
dargestellt, als sie tatsächlich waren. Denn ansonsten hätte Odilo nicht nur die
Awaren besiegt, sondern auch Teile ihres Reiches erobert.
Die Anbindung an Baiern dürfte innerhalb der karantanischen Führungsschicht
nicht auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen sein. Zwar konnte Herzog
Odilo schon bald über slawische Truppen verfügen,213 doch kam es zwischen 763
und 772 zu nicht weniger als drei Aufständen der Karantanen, die in der Conversio
mit dem bairischen Rechtsbegriff carmula bezeichnet werden.214 Im Jahr 772 feierte
Einflussgebiet gewesen zu sein, siehe auch das Kapitel zu den Gotekriegen und den Franken in den
Alpen ab S. 72. Möglicherweise existierte das Wissen davon noch, doch es fehlten die Quellen, um
dies zu untermauern.
209 Conversio c. 4 ed. Wolfram 43. Der Zusatz „und ihre Nachbarn“ sollte einen möglichst frühen
Anspruch auf Unterpannonien andeuten.
210 Wolfram, Conversio 75.
211 Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 46.
212 Wolfram, Conversio 77.
213 Wolfram, Grenzen und Räume 303, Annales Mettenses a. 743 MGH SS rer. Germ. 33.
214 Conversio ed. Wolfram c. 5 ; Lex Baiwariorum 1.1 MGH LL 3, S. 282 : „Si quis seditionem susci-
taverit contra ducem suum, quod Baiuvarii carmulum dicunt […]“. Der in der Literatur meist als
„heidnisch“ bezeichnete Aufstand war also eine Erhebung gegen den bairischen Fürsten und die
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361