Page - 76 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz76
mörderischen Artilleriefeuer[s]“ eine klare Kriegsentscheidung herbeiführte.33
Am Ende hieß es nur: „Rette, wer sich retten kann!“34Mit ähnlichen Worten kom-
mentierte die Grazer Presse die „Schrecken“ der Balkankriege und sie wartete und
hoffte auch in den Kriegsjahren 1912/13 auf die eine, klärende „Entscheidungs-
schlacht“. Zwei Beispiele: Die nächste Zeit könnte die „Entscheidungsschlacht“
bringen, hieß es gegen Ende Oktober 1912 im Tagblatt.35 „Vor der Entscheidung“
titelte der Arbeiterwille.36
Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache
Die 1912 zum Ausdruck gebrachten Sprachbilder der Zeitungen glichen augen-
fällig und nicht wenig verwunderlich jenen Begriffen, mit denen die Grazer Ta-
geszeitungen die Ereignisse des Juli 1914 zu begreifen bzw. zu erfassen versuch-
ten. Aus diesem Spektrum hob ich folgende Wörter und Redewendungen hervor:
„drohend“, „Kriegsgefahr“, „Balkanbrand“, „Welt[en]brand“, „hinter den Kulissen“,
„Ruhe vor dem Sturm“, „Kriegshetzer“ und „Entscheidungsschlachten“. Am deut-
lichsten erkennt man die „Begriffsparallelen“ zwischen 1912 und 1914 an der viel-
fach artikulierten Rede von der „Kriegsbegeisterung“. Im Folgenden möchte ich
die bisher vorliegenden begriffsgeschichtlichen Ambitionen zu dieser Thematik
aufgreifen und für die Grazer Situation weiter verfolgen. Der Begriff „Kriegsbe-
geisterung“ schien in der Grazer Presse zu Ausbruch des (Ersten) Balkankriegs un-
zählige Male auf. Allein im Arbeiterwillen finden sich Dutzende Nennungen, die
teilweise von Korrespondenznachrichten herrührten, teils aus der eigenen Feder
stammten.37Das Faktum, dass der Begriff „Kriegsbegeisterung“ problemlos in der
politischen Sprache vor 1914 anzutreffen ist, irritiert wenig, wenn man bedenkt,
dass der Begriff „Begeisterung“ zur damaligen Zeit nicht nur – wie im heutigen
Sprachgebrauch – Formen des Jubels, der Freude und der Erleichterung subsu-
mierte, sondern auch feste Zustimmung, Bewegung (im Sinne geistiger Bewegt-
33 Ebd.
34 Ebd.
35 Der Balkankrieg, in: Grazer Tagblatt, 21.10.1912 (Abendausgabe), 1.
36 Vor der Entscheidung, in: Arbeiterwille, 26.10.1912, 1.
37 Amtliche Kriegsbegeisterung in Griechenland, in: Arbeiterwille, 4.10.1912, 2; Amtliche Be-
geisterung in Montenegro, in: Arbeiterwille, 4.10.1912, 2; Kriegsbegeisterung in Sofia, in: Ar-
beiterwille, 3.10.1912, 2; Kriegsbegeisterung in Konstantinopel, in: Arbeiterwille, 6.10.1912, 2;
Kriegsbegeisterung auf dem Balkan, in: Arbeiterwille, 7.10.1912 (Abendausgabe), 1. Vgl. zudem:
Der Balkankonflikt, in: Arbeiterwille, 7.10.1912 (Abendausgabe), 1; Das Hoffen vergebens, in:
Arbeiterwille, 15.10.1912, 1.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453