Page - 162 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof162
stunden wurden nicht thematisiert. Allgemein gehaltene Stellungnahmen zu den
Auswirkungen des Kriegs und jenen der Mobilisierung lieferte der Arbeiterwille
dagegen sehr wohl. Er prophezeite, dass man „vor der furchtbaren Tatsache des
Ausbruches des Kriegs mit all seinem Leid und all seinen Schrecken“ stehen wür-
de.131 Und in seiner Separatausgabe hieß es:
„Nun ist der volle, furchtbare Ernst an die Bevölkerung von Steiermark, Kärnten und
der übrigen südlichen Kronländer herangetreten! Die Reservisten und Ersatzreservisten
dieser Territorien müssen binnen 24 Stunden Arbeit, Stellung und Familie verlassen und
zu den Waffen einrücken! Ebenso ist der Landsturm dieser Gebiete einberufen, [...].
Die Wirkungen dieser Einberufung auf die Weiterführung der Fabriken, Werkstätten,
Kanzleien sind nicht abzusehen. Es wird wenig Familien geben, die nicht an der Mobi-
lisierung beteiligt sind.“132
Antisozialdemokratischer Demonstrationszug
Am Abend des 26.
Juli füllten sich wieder die Straßen und Plätze der Innenstadt mit
Menschen, die „die neusten Nachrichten der Blätter“ abwarteten.133 Im Wesentli-
chen drehten sich die Nachrichten an diesem Abend um die Mobilisierungskund-
machungen und um die zahlreichen Verordnungen vom 25.
Juli.134 Am Hauptplatz
wurde einer Sonderausgabe des Volksblatts zufolge eine Rede von einem nicht
näher ausgewiesenen „Herr[n] aus der Menge“135 gehalten. Diese pathetische For-
mel fand sich mehrfach in den Zeitungen und sie wurde meines Erachtens nur zu
einem Zweck eingesetzt. Das Ziel hinter dieser im Grunde genommen altbewähr-
ten Floskel war eine Zurückdrängung des Individuellen zugunsten des Kollektivs.
Forschungstechnisch gilt es darauf hinzuweisen, dass im Ersten Weltkrieg Tradi-
tion und Innovation in einem enormen Spannungsverhältnis zueinander standen.
Nicht überall lässt sich daher das Ausschalten des Individuellen greifen. Schließlich
sahen sich die Zeitungen – als Reaktion auf das anonymisierte Töten und Sterben
– dazu „gezwungen“, den „Kriegshelden“ einen Namen und ein Gesicht zu geben.
131 Österreich-Ungarn und Serbien vor dem Krieg!, in: Arbeiterwille, 26.7.1914, 1.
132 Mobilisierung des Armeekorps von Steiermark und Kärnten, in: Arbeiterwille, 26.7.1914 (Sepa-
ratausgabe), 1.
133 Der Sonntag, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
134 Vgl. nur das Reichsgesetzblatt für die im (cisleithanischen) Reichsrat vertretenen Königreiche
und Länder.
135 Begeisterte patriotische Kundgebungen, in: Grazer Volksblatt, 27.7.1914 (Sonderausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453