Page - 434 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Schlussbetrachtung434
(in den ersten Kriegsmonaten) keiner omnipotenten, omnipräsenten sowie rigoros
gehandhabten Präventivzensur unterworfen.
Die Zeitungen blieben eigenständige Politakteure und Meinungsanbieter, wenn-
gleich ihr Handlungsspielraum durch die neue Rechtslage sowie durch die öko-
nomischen und nachrichtentechnischen Auswirkungen des Kriegs eingeschränkt
war. Das Adjektiv „eigenständig“ ist in diesem Zusammenhang sicherlich prob-
lematisch, aber aus meiner Sicht nicht unpassend. Die Zeitungen waren meiner
Einschätzung nach zumindest so „eigenständig“ wie die anderen Bereiche der
tendenziell militarisierten Zivilbevölkerung. Das heißt nicht, dass ihr publizisti-
sches Kreuzfeuer stets rational, optimal oder souverän war. Es bedeutet lediglich,
dass sich die Journalisten und Journalistinnen genauso im Krieg befanden wie die
anderen Zivilpersonen.39 Und aus meiner Sicht wäre es unangebracht, wenn man
postwendend in eine Mangel- und Leidensgeschichte verfiele und den Menschen
von damals jedwede Aktivität und Aggressivität in Abrede stellen würde. Der Krieg
wurde nicht nur durch Zwang, sondern eben auch durch Zustimmung geführt.40
Notwendige „Heimatfront“
Obwohl der Krieg den Grazer Pressestimmen zufolge sowohl an der Front als auch
an der „Heimatfront“ geführt werden müsse, so würde der „Sieg“ dennoch in den
Händen des „heroischen“ Soldaten an der Front liegen. In der Grazer Montags-
Zeitung hieß es dazu: „Den größten Respekt genießt heute freilich der aktive
Kriegsmann; ihm wenden sich die Herzen aller mit Begeisterung zu, ruht doch auf
seinen Schultern das fernere Geschick des Vaterlandes.“41 Die „Heimatfront“ galt
anfänglich als kriegswichtiger (aber nicht kriegsentscheidender) Faktor, deren Ef-
fektivität sich entschieden von der Wahrnehmung eines Grazer „Feldlagers“ ablei-
tete.42 Die Zeitungen und Zeitschriften versuchten die Effizienz der „Heimatfront“
mittels zurechtweisender Berichterstattung zu erhöhen. Zwei Beispiele:
• „Es genügt nicht, für das Rote Kreuz zu schaffen, sich an Hilfsaktionen zu beteili-
gen und überall dabei zu sein; das Wichtigste ist die Andauer der Arbeit, die Forst-
39 Prinzipiell lässt sich sagen, dass die wenigsten alltäglichen Lebensäußerungen des Menschen ra-
tional oder optimal erfolgen. Meistens handeln wir im Alltag habitualisiert oder intuitiv.
40 Winter/Robert (2007).
41 Abschiednehmen, in: Grazer Montags-Zeitung, 3.8.1914, [ohne Seitenangabe].
42 Realiter war die „Heimatfront“ ebenso kriegsstützend, kriegsnotwendig und kriegsentscheidend,
vgl. das Kapitel: Vier Leitpanoramen.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453