Page - 404 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen404
schen der Stadt und dem Land, sondern auch der Konflikt zwischen der Stadt Graz
mit ihrer unmittelbaren Umgebung – den Grazer „Vororten“.817
Diebstahl und Betrug
Einen zentralen Bestandteil der damaligen Zeitungen stellten Berichte über lo-
kale Diebstähle und Betrugsfälle dar: „Diebstahl, Einbruch, Betrug, Raub und
womöglich noch ärgeres sind die traurigen Folgeerscheinungen des Kriegs unter
der Bevölkerung des Hinterlandes, der Verrottung der Moral, der Verwilderung
der Sitten“, schrieb die Kleine Zeitung im Juli 1918.818 Diese Vorkommnisse ver-
deutlichen, dass die Einheitsbildung (der Burgfrieden) zu keiner Zeit eine „mo-
nolithische Einheitsfront“819 war. Denn Diebe und Betrüger – Männer wie Frauen
– bestanden die sogenannten Einheitsprüfungen durch die Grazer Presse nicht.820
Stattdessen zeigt sich an den einzelnen Diebstählen und Betrugsfällen, dass die
soziale Kohäsion innerhalb der Stadtbevölkerung ins Wanken geriet. Eine Dar-
stellung der Grazer Straßen und Plätze in den Tagen und Wochen rund um den
Kriegsbeginn 1914 kommt daher nicht umhin, sich auch den kleineren und grö-
ßeren Diebstählen sowie Betrugsfällen zuzuwenden. Schließlich handelte es sich
bei den Tätern und Täterinnen oft um Menschen aus der eigenen Stadt, deren
nachgewiesenes oder unterstelltes Fehlverhalten massiv verurteilt wurde. Verur-
teilt wurde dieses, weil es gegen die Gesetze und Verordnungen (des Staats sowie
der Stadt821) verstieß und weil es ebenso gegen die – rein rechtlich gesehen – nicht-
kodifizierten Gebote und Verbote der „Heimatfront“ verstieß. Letzteres meint in
gewissem Sinne die jeweiligen in Umlauf gebrachten Vorstellungen, wie man sich
im Hinterland zu verhalten habe.
817 Ich meine hier, wie erwähnt, die Grazer „Umgebungsgemeinden“, die damals eigene Bürgermeis-
ter hatten. So war z.
B. Karl Pack Bürgermeister von Waltendorf, siehe dazu: An die Bevölkerung
von Waltendorf!, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914, 16. Gustav Dolenz war Bürgermeister von Eg-
genberg. Anfang 1915 erkrankte Dolenz, sodass der (zweimalige) Altbürgermeister Albert Eckert
die Geschäfte übernahm. Zu Oskar Dolenz, vgl. beispielsweise: Eggenberg. (Gemeindeausschuß-
sitzung.), in: Grazer Vorortezeitung, 11.10.1914, 1; Eggenberg. (Gemeinde-Ausschuß-Sitzung.),
in: Grazer Vorortezeitung, 21.2.1915, 3.
818 Die geistesgegenwärtige Försterstochter, in: Kleine Zeitung, 26.7.1918, 1.
819 Vgl. auch: Moll (2007a), 34.
820 Eine Statistik bezüglich der Diebstähle in Österreich-Ungarn in: Rumpler/Schmied-Kowarzik
(2014), 314 f.
821 Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453