Page - 252 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof252
Transportkolonne am Bahnhof
Die Schaulustigen am Bahnhof erschwerten erheblich den Abtransport der Ver-
wundeten. Das Militärkommando Graz forderte vergebens die durchgängige
Schließung des Grazer Hauptbahnhofs. Der neue Grazer Militärkommandant Er-
win von Mattanovich empfand zudem die Fürsorge und Anteilnahme, die viele
Grazer und Grazerinnen den Kriegsgefangenen zukommen ließen, für völlig un-
angebracht.622 Aus diesem Grund erhoffte er sich vom Statthalter, dass dieser den
Bahnhof vollständig abriegelt.623 Die Grazer Bezirkshauptmannschaft erachtete
hingegen eine Bahnhofsabriegelung für „nicht notwendig“.624 Am Ende folgte die
Grazer Burg der Empfehlung des Militärkommandos nur sporadisch. Der Bahn-
hof blieb somit weitgehend frei zugänglich.625 Die Frage, ob man die Bahnhöfe
abriegeln sollte, wurde im ersten Kriegsjahr vielerorts in der Steiermark gestellt.626
Zieht man die Präsidiumsakten der Statthalterei heran, schlug sich die Abriege-
lungsfrage in zahlreichen Anfragen, Empfehlungen und Direktiven verschiedener
Behörden nieder. So kam man zum Beispiel in Rann (Brežice) nur mehr mit einer
Bahnfahrkarte oder einer Legitimation, die von unterschiedlichen Behörden oder
Institutionen (Rotes Kreuz) ausgestellt wurde, auf den Bahnsteig.627 In Bruck a. d.
Mur wurde dagegen der Bahnhof nur im Falle einer Ankunft eines Verwundeten-
transports abgesperrt.628 Maßnahmen dieser Art wurden aber nicht überall ergrif-
fen. Beispielsweise verlief am Bahnhof in Leoben anscheinend alles „in grösster
Ruhe und Ordnung“, weswegen die Bezirkshauptmannschaft eine Abriegelung für
unnötig erachtete.629
Dass das Grazer Militärkommando Teile der Zivilbevölkerung kritisierte, stellte
sprichwörtlich nur eine Seite der Medaille dar. Schlussendlich empörte sich auch
die Grazer Presse ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung über Teile des Wach-
personals am Bahnhof. Das Tagblatt beanstandete beispielsweise Anfang Septem-
ber, dass die Wachleute zu hart mit jenen umgingen, die sich von den (an die Front
fahrenden) Soldaten verabschieden möchten, „während junge Dämchen, die aus
622 Militärkommando Graz an Statthalterei-Präsidium, 8.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/2037/1914.
623 Ebd.
624 BH Graz an Statthalterei-Präsidium, 23.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/2037/1914.
625 Polizei-Direktion Graz an Statthalterei-Präsidium, 29.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/1743/1914.
626 Zur Abriegelungsfrage in Deutschland (z. B. in Lübeck oder in Berlin) vgl. Reitemeier (2004),
173 f.; Verhey (2000), 140.
627 BH Rann an Statthalterei-Präsidium, 26.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/2037/1914.
628 BH Bruck a. d. Mur an Statthalterei-Präsidium, 28.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/2037/1914.
629 BH Leoben an Statthalterei-Präsidium, 26.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. A5b/2037/1914.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453