Page - 214 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof214
gungen in Erinnerung: die (zweite) „Besudelung“ des Anastasius-Grün-Denkmals
in Ljubljana (1893) sowie das Absägen der „Bismarckeiche“ am Grazer Hilmteich
(1900).408
Warteten die Grazerinnen und Grazer bis zum großen Truppenabmarsch am
11. August auf Nachrichten, die Auskunft über die politische Großwetterlage ga-
ben, so warteten sie ab Mitte August auf Nachrichten von den südlichen und den
nordöstlichen Kriegsschauplätzen. Etwaige große abendliche Menschenansamm-
lungen in der Innenstadt kamen nicht mehr zustande. Lediglich die partielle Son-
nenfinsternis (21. August), deren Kernschatten über Kanada, Grönland, Skandi-
navien und Russland verlief, brachte wieder eine enorme Menschenmenge auf die
Straße. Laut Tagblatt beobachteten „Tausende von Menschen [...] durch berußte
Gläser die hochinteressanten Vorgänge.“409 Die Mittags-Zeitung versuchte sonach
etwaige abergläubische Grundhaltungen bezüglich dieser Himmelserscheinung
zu zerstreuen. So sei diese astronomische Erscheinung, die „seit jeher den Aber-
glauben und die übertriebene Nervosität bei unwissenden Menschen geweckt hat“,
völlig harmlos.410 Ansonsten lassen sich bis Anfang September keine große Men-
schenmengen mehr greifen. Und auch die Anzahl der „grölenden“ und alkoho-
lisierten „Nachtschwärmer“ nahm in diesen Tagen (ähnlich wie in Freiburg im
Breisgau) ab.411 Das mit vielen Hoffnungen verbundene Warten erfolgte in diesen
Tagen primär leise und im Privaten. Parallel zum Leiserwerden der Straßen ver-
lief die Ungewissheit über das Schicksal der Soldaten. Anfang Septemper strömten
deswegen zahllose Menschen auf die Bahnhöfe. Dort fungierten die zurückgekom-
menen Soldaten beider Seiten als „authentische“ Korrekturhilfe einer nach wie vor
parteigefärbten (sowie zensierten) Presse.
Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie
Ab August traten alle Grazer Tageszeitungen für den „Verteidigungskrieg“ ein.412
Des Weiteren war in der Presse die Ansicht vom Krieg als ein gewaltsames und
daher leidvolles Ereignis, das keinen jahrelang andauernden Zustand antizipiere,
weit verbreitet. Schließlich kolportierten die Redaktionen oft, dass der Krieg durch
408 Vgl. z. B. Die verstümmelte Bismarck-Eiche, in: Grazer Tagblatt, 9.7.1900 (Abendausgabe), 2.
409 Die gestrige Sonnenfinsternis, in: Grazer Tagblatt, 22.8.1914, 3.
410 Die totale Sonnenfinsternis am 21. August, in: Grazer Mittags-Zeitung, 21.8.1914, 3.
411 Siehe die drei Kapitel: Soldaten abseits der Truppe, Ausstattungsfrage und Postämter und Aus-
schreitungen. Zu den „Nachtschwärmern“ in Freiburg vgl. Chickering (2009), 287.
412 Der Arbeiterwille lehnte bis zum 31. Juli den Krieg mit Serbien strikt ab.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453