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Soldaten abseits der Truppe | 363
seit 31. Juli in Untersuchungshaft sitzen mußte, weil zwei der Frau nicht gut ge-
sinnte Weiber Äußerungen von ihr gehört haben wollten, die sie gar nicht gemacht
hatte.“588 Die „Tratschweiber“589 tauchten zudem in den „Warnungen“ des Annon-
centeils auf. Beispielsweise annoncierte eine Frau aus Seegraben nahe Leoben: „Ich
warne alle Tratschweiber, über mich Verleumdungen und Lügen zu verbreiten, da
ich sonst gezwungen wäre, sie gerichtlich zu belangen.“590 Alle diese Zeitungsbe-
richte und Annoncen verdeutlichen, wie sehr man auf den Straßen und Märkten
aufpassen musste. Schließlich konnte es ziemlich schnell passieren, dass man ––
von wem auch immer – in Bedrängnis gebracht wurde. „Bedrängnis“ meint hier
vieles: Es wurden Leute beschimpft, bespuckt, bloßgestellt, geprügelt, denunziert
oder anderweitig diskreditiert. Dem war so, weil der Ernst der Lage von einander
abweichende Vorstellungen schuf, wie man sich an der „Heimatfront“ zu verhalten
habe. Und man konnte weder alle diese Vorstellungen kennen, noch konnte man
sich gleichzeitig an alle halten.
Soldaten abseits der Truppe
Blickt man auf die Soldaten auf den Straßen der Grazer „Heimatfront“, traten diese
– in Uniform gesteckten Zivilisten – im ersten Kriegsjahr unterschiedlich in Er-
scheinung. Ins Auge fallen hier zunächst die von der bürgerlichen Presse vielerorts
vernommenen „Verbrüderungen zwischen Militär und Zivil“591 (zwischen „Militär
und Bürgertum“592). Derartige „Verbrüderungen“ trugen sich den Zeitungen zu-
folge in den Gast- und Kaffeehäusern, am Bahnhof, auf der Straße, bei den Kaiser-
feiern sowie während der Konzerte zu (Café Stadtpark, Café Hilmteich, Café Sty-
ria, Schweizerhaus am Schlossberg, Schweizerhaus am Hilmteich, Universität,
Technische Hochschule).593 Der Arbeiterwille, der den kurzzeitigen „Hurrapatrio-
588 Eine verleumderische Anzeige, in: Arbeiterwille, 20.10.1914, 3.
589 Vereinzelt galten auch Männer als „Tratschweiber“, vgl. Wie bei uns in Graz!, in: Grazer Volks-
blatt, 4.8.1914, 4.
590 Warnung. Ich warne alle [Annonce], in: Arbeiterwille, 15.11.1914, 11.
591 Der gestrige Tag, in: Grazer Montags-Zeitung, 27.7.1914, [ohne Seitenangabe].
592 Einmarsch des Belgier-Infanterie-Regimentes in Graz, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914, 5.
593 Diesen Schluss legen u. a. folgende Artikel nahe: Der Zapfenstreich der Belgier. Begeisterte Ova-
tionen für das Grazer Hausregiment, in: Grazer Volksblatt, 1.8.1914, 3 [Vgl. parallel: Der Zap-
fenstreich der Belgier. Begeisterte Ovationen für das Grazer Hausregiment, in: Kleine Zeitung,
2.8.1914, 7]; Eine patriotische Kundgebung des Bürgerkorps, in: Grazer Volksblatt, 1.8.1914, 5;
Große patriotische Kundgebung beim Belgierkonzert, in: Grazer Volksblatt, 7.8.1914, 3; Kundge-
bungen im Café „Stadtpark“, in: Grazer Volksblatt, 9.8.1914, 4.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453